Der Sensei des Finedine
Die untypische Erfolgsstory
Erst eine Pleite in Peru, dann ein abgebranntes Lokal in Alaska und dazu ein verzweifelter Mann – dem Selbstmord nahe. Klingt nicht nach dem Beginn einer typischen Erfolgsstory. Aber es ist der Start der Geschichte von Nobuyuki Matsuhisa. Einem der erfolgreichsten Köche der Welt.
Die untypische Erfolgsstory
Erst eine Pleite in Peru, dann ein abgebranntes Lokal in Alaska und dazu ein verzweifelter Mann – dem Selbstmord nahe. Klingt nicht nach dem Beginn einer typischen Erfolgsstory. Aber es ist der Start der Geschichte von Nobuyuki Matsuhisa. Einem der erfolgreichsten Köche der Welt.
Neben sieben Gourmetrestaurants, die unter dem Namen Matsuhisa laufen und der Familie gehören, machte sich der japanische Koch weltweit einen Namen mit 33 weiteren Dependancen, die unter seinem Spitznamen laufen: Nobu. Die Küche ist gleich, aber die Geschäftsverhältnisse unterschiedlich: Die Familie Matsuhisa ist alleiniger Besitzer der Matsuhisa-Restaurants. Im November eröffnete das neueste Matsuhisa-Restaurant in München. Die Nobu-Restaurants teilen sich mehrere Partner, zu denen beispielsweise auch Robert De Niro gehört. Dazu später mehr. Denn bis De Niro in Matsuhisas Leben trat, ist die Geschichte des Edeljapaners eher elendig.
Stehaufmännchen
Mit 18 startete Matsuhisa seine Lehre bei seinem Meister am Tsukiji Fish Market in Tokio. Im ersten Jahr der sieben Jahre langen Ausbildung zum Sushi-Koch lernte der ehrgeizige Japaner erst einmal, wie man Reis wäscht. Richtig gelesen. Nicht kocht, sondern wäscht. Wer solch eine Lehre auf sich nimmt, die Perfektion liebt und sieben Jahre hart für sein Ziel arbeitet, der muss es wirklich wollen. Matsuhisa wusste, dass er Sushi-Koch werden will, als er acht Jahre alt war. Damals aß er mit seinem Bruder das erste Mal in einem Sushi-Lokal und beobachtete den Meister. Dem jungen Matsuhisa war sofort klar: Das ist nicht nur ein Beruf, das ist seine Berufung.
Als ihm die Insel nach seiner Ausbildung zu klein wurde, folgte er einem Geschäftsmann, der ihm ein Angebot in Peru machte. Matsuhisa nahm die Einladung an und zog kurzentschlossen mit seiner Frau nach Peru. Aber wie es nunmal im Ausland so ist, die Gegebenheiten sind anders, als man erwartet. Er war durch die lokale Lebensmittelsituation darauf angewiesen, sich intensiv mit der peruanischen Küche zu beschäftigen. Denn viele japanische Produkte gab es einfach nicht, Ihm fehlte besonders der frische Fisch. Dafür experimentierte er mit – für Japaner unbekannten – Zutaten wie Olivenöl, Knoblauch, Chili und Koriander. Seine Küche wurde ein Konglomerat, eine mutige Kombination zweier Länderküchen. Niemals hätte er damals gedacht, dass er genau damit weltweit erfolgreich sein würde. Denn nach dem dritten mehr oder weniger erfolgreichen Jahr in Peru packte er seine Sachen und versuchte sein Glück in Argentinien. Allerdings war dieser Zwischenstopp in Argentinien auch nicht das, was für einen motivierten und feingeistigen Koch aus Japan nach dem Paradies klingt. Die Menschen warmherzig, aber chaotisch, das Lokal nur wenig besucht und der Fisch nicht frisch genug. Die zweite Pleite in wenigen Jahren zwang ihn zum Rückzug nach Japan.
Viel Zeit zum Luftschnappen und um die Niederlagen zu verarbeiten hatte Matsuhisa allerdings nicht. Ein Freund lud ihn nach Alaska ein. Matsuhisas erster Gedanke: der perfekte Ort für frischen Fisch. Seine Frau willigte ein, ein Freund lieh ihm rund 15.000 Euro und er startete erneut einen Versuch am anderen Ende der Welt. Es musste einfach klappen. Und das tat es auch. Neun Monate Vorbereitungen und schier grenzenlose Energie zahlten sich aus. An Thanksgiving nahm er sich nach 50 Tagen Durcharbeiten einen Tag frei. Dann ein Anruf. Ein Feuer war im Restaurant ausgebrochen. Ein schlechter Witz? Nein. Aus. Vorbei. Hilflos schaute er zu, wie die Feuerwehrmänner versuchten zu retten, was noch nicht verbrannt war. Keine Chance. Das Feuer brach seinen Mut. Appetitlos, erschöpft, bankrott. „Es waren die schlimmsten Tage in meinem Leben“, sagt er, „ich hatte keine Versicherung, das ganze Geld war geborgt. Immer, wenn ich an Alaska denke, kommen mir heute noch die Tränen.“ Der Gedanke an Selbstmord verfolgte ihn wochenlang, aber seine Frau schaffte es, ihn aus dem Teufelskreis herauszuholen.
Mit ihr und seinen zwei Töchtern reiste er zurück nach Japan. Schon wieder. Aber auch diesmal kam eine Einladung eines Freundes, um in Los Angeles in einem kleinen Sushi-Restaurant – mit nur sechs Plätzen – anzufangen. Darauf folgte die Greencard und er durfte in Amerika bleiben. Sechs Jahre und einen Freund mit ungebrochenem Vertrauen in Matsuhisas Können später eröffnete er 1987 mit dem Geld ebendieses Freundes sein eigenes Restaurant. Ein Darlehen von fast 70.000 Euro und es entstand das erste Matsuhisa in Beverly Hills. Endlich schaffte es der japanische Koch, sich in Amerika zu beweisen. Die finsteren Zeiten waren vorbei.
Es kommt immer alles anders
Eines Tages stand der Schauspieler Robert De Niro im Lokal. Gutes japanisches Essen spricht sich eben rum. De Niro liebte die japanisch-peruanische Küche. Er wollte gemeinsam mit dem Koch in New York ein zweites Restaurant eröffnen. Matsuhisa lehnte ab. „Das Restaurant war nicht organisiert genug. Ich hätte mich nicht auf zwei Restaurants konzentrieren können“, schildert er die Situation, die bei vielen zu ungläubigem Erstaunen führt. Wie kann man so ein Angebot ablehnen? Für Matsuhisa – den Perfektionisten – war klar: Ein zweites Lokal in New York passte nicht in seine Pläne. Vier Jahre später klopfte De Niro wieder an. Mittlerweile wurde das Matsuhisa in Beverly Hills unter die zehn besten Restaurants der Welt gekürt. Er selbst wurde von dem Los Angeles Times Magazine als einer der zehn besten neuen Köche in Amerika gewählt. Kate Winslet, Madonna und Co. waren Stammgäste.
De Niro hatte Matsuhisa beobachtet. Ob jetzt die Zeit richtig sei, wollte er wissen. Und sie war es. Matsuhisa willigte ein, das erste Nobu-Restaurant gemeinsam mit De Niro zu eröffnen. 1994 war es so weit: Das erste Nobu in New York ging an den Start. Es war das erste der 33 Lokale, die unter dem Spitznamen des Kochs laufen. Viel Lob, noch mehr Promis, unzählige Reservierungen. Kurze Zeit später kam das Nobu Next Door hinzu, das wirklich direkt nebenan eröffnete. Es folgten weitere Partner. Meir Teper und Drew Nieporent sind bis heute dabei. Teper war Hollywood-Filmproduzent, konzentriert sich seit 2004 voll auf das Restaurant-Geschäft und eröffnete mehr als 27 Restaurants gemeinsam mit De Niro und Matsuhisa. Nieporent ist Gastronom und Besitzer der Myriad Restaurant Group, zu der auch einige Nobus zählen.
Zusammen mit dem neuen Restaurant in München gehören dem 66-jährigen Japaner sieben Restaurants mit dem Namen Matsuhisa. Er ist außerdem Mitbesitzer der 33 Nobu-Restaurants. Weltweit arbeiten Tausende Köche und Servicemitarbeiter in den insgesamt 40 Restaurants, die seinen Namen tragen. Ein Name, der laut der Forbes-Liste zu den zehn reichsten Chefs mit über zehn Millionen Euro gehört. Und das, obwohl er zu Beginn seiner Karriere wortwörtlich abgebrannt war und seine Schulden kaum tragen konnte.
Mach mit mir, was du willst
Was macht eine Küche aus, die zwei Länder kombiniert, die unterschiedlicher nicht sein könnten? Es sind die warme Herzlichkeit und das Feuer der Südamerikaner und die Perfektion und kühle Distanz der Japaner. Ihren Höhepunkt erlebt sie in den Signature Dishes des Edelkochs. Seit über 20 Jahren ist seine Handschrift das, was sich die Gäste wünschen. Zu seiner Handschrift gehört unangefochten das Gericht Black Cod Miso: Der gebratene schwarze Kabeljau gepaart mit Miso und der frischen Säure der Yuzu ist ein Must-Have für alle, die zum ersten Mal bei Matsuhisa dinieren. Denn dieses Gericht wie auch das Toro-Tatar mit Kaviar oder das New Style Salmon Sashimi stehen überall auf den Speisekarten der Restaurants. Das Toro-Tatar wird seit der Restauranteröffnung des ersten Matsuhisa mit Blauflossen-Thunfisch zubereitet, der vom Aussterben bedroht ist. Wer ihn einmal – trotz abgrundtief schlechtem Gewissen – gekostet hat, weiß, warum Matsuhisa ihn einfach nicht von der Karte nehmen will. Blauflossen-Thunfisch ist eine Delikatesse und wurde bei einer Londoner Auktion bereits für mehr als eine halbe Million Euro versteigert. Wo selbst der wenig zimperliche Koch Gordon Ramsay den Fisch schon von seiner Karte gestrichen hat, interessiert Matsuhisa die Diskussion kein bisschen. Was seine Gäste zu seinen Gerichten sagen, interessiert ihn da schon eher: Ein Gast gab das georderte papierdünn geschnittene Sashimi zurück, weil er keinen rohen Fisch essen durfte. „Ich wollte den wundervollen Fisch auf gar keinen Fall wegwerfen, also experimentierte ich. In heißem Oliven- und etwas Sesamöl – für den Geschmack – erhitzt und mit Ponzu benetzt und ich wusste: Das ist es! Der Gast probierte vorsichtig erst einen Bissen, dann einen zweiten und am Ende bekam ich den sauber geputzten Teller zurück.“
Bei jedem Gericht wird klar, dass Matsuhisa mit Herz und Seele kocht. In Japan heißt sein Credo „kokoro“ – eine Küche vom und fürs Herz. Das schmeckt und spürt man nicht zuletzt, wenn man als Gast in einem seiner Restaurants „Omakase“ bestellt. Omakase bedeutet so viel wie „Mach mit mir, was du willst!“. Es ist eine Menüfolge, die nicht auf der Karte steht. Ein Chef’s Tasting Menu auf Japanisch. Dann warten Spezialitäten wie eine Kumamoto-Auster mit Zwiebelsauce oder Ceviche auf die neugierigen Gäste. Der Kostenpunkt liegt bei rund 100 Euro. Je nachdem, durch wie viele Gänge man sich kosten möchte. Spätestens bei Omakase werden Kritiker, die die Kette herablassend als das McDonald’s der Haute Cuisine betiteln oder jammern, dass es überall auf der Welt gleich schmeckt, zum genussvollen Schweigen gebracht. Das Omakase-Menü ändert sich mit der Saison und überrascht immer wieder aufs Neue.
Verwunderlich ist bei Rezensionen, die das Essen des Japaners in den Himmel loben, dass lediglich fünf Restaurants mit jeweils einem Michelin-Stern ausgezeichnet sind. Trotzdem empfindet Matsuhisa diese Art der Auszeichnung als äußerst wichtig, da über Guides immer mehr Menschen in Kontakt mit Restaurants kommen, die sie vorher noch nicht kannten. „Was noch wichtiger für mich ist als jede Auszeichnung, ist das Lächeln der Gäste am Ende des Essens.
Es ist eine besondere Ehre, wenn sie zufrieden und glücklich das Restaurant verlassen.“
Japan goes Munich
Überall gleich kann und soll es schmecken, da das Team um Matsuhisa dafür ein ausgeklügeltes System aufgestellt hat. Da sich der Chef leider nicht wie eine Rolle Sushi in Stücke schneiden und an allen Orten gleichzeitig sein kann.
Matsuhisa hat deshalb ein Stammteam, das seit Beginn bei ihm ist. Seine Mitarbeiter haben seine Philosophie, das Kokoro, verstanden und bringen es in den neuen Restaurants der Kette den einzelnen Mitarbeitern an den verschiedenen Standorten bei. „Ich habe ein großartiges Team. Sie besuchen die neuen Locations und trainieren die neuen Mitarbeiter, geben Rezepte und Techniken weiter“, erklärt Matsuhisa, der selbst fast zehn Monate im Jahr von Restaurant zu Restaurant reist.
Im Mandarin Oriental, in dem das Matsuhisa Restaurant in München im November dieses Jahres eröffnete, wird er im Januar 2016 noch einmal vorbeischauen. Doch hat er mit den 50 Mitarbeitern und dem Küchenchef Loris di Santo eine gute Basis gefunden. Di Santo hat bereits Erfahrungen in Matsuhisas Küchen gesammelt. Er war zuvor im Matsuhisa Mykonos Küchenchef und kennt die Location in München schon von einem Gastspiel 2013, das im Mandarin Oriental stattfand. Wie in jedem Matsuhisa-Restaurant gibt es einen Sushi-Meister: Der Japaner Koichiro Kawakami bringt genau die richtige Matsuhisa-Erfahrung mit, um in München alle Amateur-Sushi-Roller vor Neid erblassen zu lassen. Denn Perfektion wird bei Menschen, die ein Jahr lang Reis waschen, großgeschrieben. Matsuhisa gehört zu ebendiesen Menschen, die die Zähne zusammenbeißen und unermüdlich am Erfolg arbeiten. Rückblickend betrachtet, braucht eine große Erfolgsgeschichte einen kleinen Anfang wie diesen.
www.nobumatsuhisa.com