Wie Heinz und Birgit Reitbauer im Steirereck am Pogusch Gastro 3.0 leben
Fast die Hälfte der österreichischen Staatsfläche ist mit Wald bedeckt. Das entspricht rund vier Millionen Hektar. Damit zählt Österreich zu den waldreichsten Ländern Europas. Kein Wunder eigentlich, dass einer der größten Köche des Landes den Wald als Hauptinspirationsquelle, ja geradezu als seine ureigene kulinarische DNA in sich trägt. Heinz Reitbauer – nota bene: der jüngere – hat mit seinem Restaurant Steirereck Österreichs Kulinarik nicht nur vorwärtspreschend modernisiert, sondern international zu einem genauso beeindruckenden wie faszinierenden Siegeszug verholfen.
Fast die Hälfte der österreichischen Staatsfläche ist mit Wald bedeckt. Das entspricht rund vier Millionen Hektar. Damit zählt Österreich zu den waldreichsten Ländern Europas. Kein Wunder eigentlich, dass einer der größten Köche des Landes den Wald als Hauptinspirationsquelle, ja geradezu als seine ureigene kulinarische DNA in sich trägt. Heinz Reitbauer – nota bene: der jüngere – hat mit seinem Restaurant Steirereck Österreichs Kulinarik nicht nur vorwärtspreschend modernisiert, sondern international zu einem genauso beeindruckenden wie faszinierenden Siegeszug verholfen.
In den vergangenen Jahren tat er das vor allem mit Gerichten aus Pilzen heimischer Wälder. Die avantgardistische Akribie, mit der sich der Reitbauer der Komplexität dieser geschmackreichen Walderzeugnisse widmete, schlug hohe Wellen, um das Mindeste zu sagen: Seit Jahren rangiert das Zwei-Sterne-Restaurant Steirereck in Wien – das er zusammen mit seiner Frau Birgit führt und von dem viele sagen, es hätte seit Langem schon den dritten Stern verdient – in den Top 20 der prestigeträchtigen World’s 50 Best Restaurants.
Die produktbesessene, von reduzierter Virtuosität lebende Küche des gebürtigen Wieners gehört auch für den Gault&-Millau zu den besten des Landes, der sie seit geraumer Zeit mit 19 Punkten und fünf Hauben auszeichnet. Der 2016 ebenfalls vom Gault&Millau vergebene Titel „Koch des Jahrzehnts“ unterstreicht Heinz Reitbauers Rolle als tüftelndes Aushängeschild zeitgenössischer österreichischer Kulinarik.
Heute, fünf Jahre später, wird einmal mehr klar, warum Heinz und Birgit Reitbauer zu den prägendsten ihrer Zunft gehören: Im Wirtshaus Steirereck am Pogusch, der steirischen Keimzelle ihres Tuns, ist alles neu, oder besser: alles auf Zukunft ausgerichtet. Und zwar so richtig. Denn auf 1050 Metern Höhe haben die zu Öko-Unternehmern mutierten Multi-Gastronomen eine Kreislaufwirtschaft geschaffen, die Energieautarkie und Transparenz auf ein neues, nie gekanntes Level hievt. So sehr, dass dieses Unterfangen im Rahmen eines universitäten Pilotprojekts an 300 verschiedenen Messpunkten drei Jahre lang penibel untersucht wird, um daraus Lehren für die (gastronomische) Zukunft weltweit zu ziehen. Was bedeutet das genau? Und wie wird ein einfaches Wirtshaus an einem obersteirischen Alpenpass zu einem geradezu globalen Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit, Transparenz und last, but not least, vollkommen neu gedachter Rolle von Gast und Gastgeber?
Ein Wirtshaus als Pilotprojekt
Begonnen hat alles 1992. Die Familie Reitbauer kauft die Immobilie am Pogusch – ein Bau, dessen Teile bis ins 17. Jahrhundert zurückreichen –, und eröffnet das Wirtshaus vier Jahre später. Der junge Heinz fungiert dort als Küchenchef. Bis 2005, da wurde bekanntlich nach Wien übersiedelt, um das mittlerweile legendäre Steirereck am Stadtpark zu eröffnen. Von da an führten Reitbauers Eltern das Wirtshaus. Heute ist Reitbauer senior 80 Jahre alt, seine Frau 73. Seit dem Corona-Lockdown steht fest: Sie treten leiser. „In dem Alter mehr als recht, versteht sich“, sagt ihr Spross. „Schon vor sechseinhalb Jahren haben meine Frau und ich begonnen, darüber nachzudenken, wie es ist, wenn meine Eltern einmal in Pension gehen. Für uns war immer klar, dass wir das Wirtshaus weiterführen wollen. Wir haben lange überlegt, wie wir den Betrieb sehen.“
Wir haben jedes Detail, jede Ecke dieses Unternehmens genau unter die Lupe genommen und uns überlegt: was wäre mittel- bis langfristig wichtig?
Für die Reitbauers stand fest: Wenn sie das Wirtshaus am Pogusch zukunftsfit machen wollen, dann richtig
Schließlich nimmt die beiden das Thema in den vergangenen drei Jahren dermaßen ein, dass sie „in jeder freien Minute“, so der Küchenchef, „über die Zukunft nachdenken“. Irgendwann stand fest: Das Wirtshaus soll Wirtshaus bleiben. Aber mit Kreislaufwirtschaft. Was alles in diesem vermeintlich beiläufigen „Aber“ steckt, das hätte sich das Gastro-Dreamteam damals wohl nie träumen lassen. Auch wenn bald klar wurde, dass es hier um mehr gehen würde als eine nahtlose Übergabe mit ein paar Umbauarbeiten. „Jedes Detail, jede Ecke dieses Unternehmens haben wir genau unter die Lupe genommen und uns überlegt: Was wäre mittel- bis langfristig wichtig?“
Zunächst wurde ein Architektur- Wettbewerb ausgeschrieben. „Wir haben namhafte Architekturteams eingeladen, von denen wir glaubten, sie könnten unserer Nachhaltigkeitsphilosophie entsprechen.“ Der Sieger der Ausschreibung wurde das Architekturbüro PPAG aus Wien, das anno dazumal auch das Steirereck im Stadtpark umgebaut hatte. Zeitgleich ging’s an die Essenz dieses gesamten Unterfangens: Wie die hohen Nachhaltigkeitsansprüche in Sachen Energiegewinnung erfüllen? „Wir haben uns für ein gefördertes Energie-Projekt namens ‚Stadt der Zukunft‘ beworben, das auf nachhaltige Energiegewinnung und -optimierung abzielt.
Wir wollen eine naturnahe Gastronomie erzeugen, die zeigt, wie Lebensmittel produziert und verarbeitet werden.
Am neuen Pogusch wird nicht nur das Verhältnis zwischen Gast und Gastgeber neu definiert, sondern auch das Thema Transparenz neu gedacht
Das ist ein absolutes Pilotprojekt, in dessen Rahmen wir universitär begleitet werden und wo alle Ergebnisse öffentlich einsichtig sind, weil man aus diesen Investitionen die Lehren für die nächsten Generationen ziehen will.“ Gelingen soll dieses, man muss es fast sagen, bahnbrechende Unterfangen mithilfe von modernster Photovoltaik, einer Biomasseanlage, einem Holzvergaser und gefinkelten Wärmespeichersystemen, deren Zentrum das 2019 erbaute Energiehaus neben dem Wirtshaus ist.
Feuer und Dampf
An der alten Bausubstanz des altehrwürdigen Wirtshauses wurde nur teilweise Hand angelegt. „Die Bauteile, die wir als Familie von 1999 bis 2000 neu gebaut haben, wurden entfernt und durch neue ersetzt.“ Das liegt vor allem daran, dass neben dem Wirtshaus ein neues Konzept erdacht und, wenn man so will, dazu gebaut worden ist: In der „Schankkuchl“, einer kleinen Küche mitten im Gästeraum, passiert alles am offenen Feuer und mit viel, sehr viel Dampf. Da wird vor dem Gast gekocht, und zwar weder das, was sonst im Wirtshaus serviert wird, noch das, was internationale Foodies in Scharen ins Steirereck nach Wien lockt. „Es ist eine ganz eigene Karte“, erklärt Reitbauer, „das ist kulinarisch wirklich etwas ganz Unabhängiges. Es ist eine legere, produktbezogene Küche. Ziel ist es auch, hier nicht nur das martialische Feuerthema zu bespielen, sondern auch das Gesundheitsthema mit den schonenden Garmethoden per Dampf.“
Aber auch Backstage hat sich einiges, um nicht zu sagen: noch mehr getan. „Wir haben zwei neue Glashäuser gebaut“, holt der Pogusch-Mastermind aus. „Das eine nennt sich Küchengarten und steht mitten in der Küche. Das ist ein wärmendes, in mehreren Etagen gebautes Gewächshaus, wo wir jede Menge Pflanzen und Kräuter anbauen. Von exotischen Früchten wie Avocados, Passionsfrucht, Bananen und jeder Menge Kräuter können wir hier alles ohne weite Wege direkt für den täglichen Gebrauch pflücken. Außerdem belichtet es unsere Küche. Das, was da wächst, dient uns außerdem auch für das Steirereck im Stadtpark.“
Das zweite Glashaus steht draußen. Zum einen, weil es viel größer ist als das, das in die Küche ragt. Zum anderen, weil es als Kaltglashaus im Winter auf bis zu acht Grad hinuntertemperiert wird. „Weil wir dort Pflanzen haben, die es dann nicht wärmer brauchen und wollen“, so Reitbauer.
Vielleicht kristallisiert sich das gesamte neue Pogusch-Konzept in genau diesem Gewächshaus. Denn was als kleiner Geniestreich am Rande klingt, ist in Wahrheit ein völlig neues Verständnis von Gastronomie. „Wenn ich bei meinen Produzenten bin“, erklärt Reitbauer, „habe ich oft gesehen, dass sie in ihrem Glashaus irgendwo hinten in der Ecke ihren Schreibtisch haben und ihr Gewächshaus gleichzeitig auch ihr Lebensraum ist. Das finde ich wahnsinnig inspirierend. Deswegen war für mich klar: Wir stellen jetzt einfach zehn Betten rein! Und die stehen jetzt da, in Form von Kabanen.“ Duschen und WCs können sich die Gäste teilen. Auch eine Sauna und ein Kaminzimmer gibt es in diesem herbergeartigen Gewächshaus.
Reitbauers Idee: dass man nicht nur inmitten bekannter und unbekannter Pflanzen schlafen, sondern auch an allen riechen, alles schmecken, aus den Kräutern Tee machen kann. Außerdem: Wer am Morgen danach entweder in der Küche oder in der Landwirtschaft, die das Wirtshaus umgibt, mithilft, bekommt das Zimmer zum halben Preis. „Man kann mit uns in der Küche Erdäpfel schälen oder einfach bei der Obsternte mithelfen, Rasenmähen – was auch immer anfällt. Mit unserer eigenen Viehwirtschaft schlachten wir auch selber, wir wurschten selber, wir verarbeiten selber. Wir wollen eine naturnahe Gastronomie erzeugen, die zeigt, wie Lebensmittel produziert und verarbeitet werden.“
Damit schlagen die Reitbauers gewissermaßen zwei Fliegen mit einer Klappe: Einerseits definieren sie das Verhältnis zwischen Gast und Gastgeber neu, da der Gastgeber zu einer Art beherbergenden Mentor ohne erhobenen Zeigefinger wird, während der Gast vom passiven Konsumenten zum aktiven Akteur innerhalb eines geschlossenen gastronomischen Mikrokosmos’ wird. Zweitens wird damit das Thema Transparenz auf die Spitze getrieben, indem die Produktionsschritte der Lebensmittel im wahrsten Sinne des Wortes greifbar gemacht werden.
Dennoch: Heinz und Birgit Reitbauer betonen, dass ihr Fokus weiterhin auf dem Steirereck in Wien liegt. „Wir können uns hier voll und ganz auf unser gestandenes Team verlassen“, so der gastronomische Vorwärtsdenker. „Aber wer weiß, vielleicht ist der Pogusch ja in 10 bis 15 Jahren doch einmal unser Alterssitz. Wir werden sehen.“
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DIE FAMILIE REITBAUER UND DER POGUSCH: Im Jahr 1992 kaufte die Familie Reitbauer die Immobilie am Pogusch und eröffnete vier Jahre später das Wirtshaus. Der junge Heinz fungierte dort von der Eröffnung bis 2005 als Küchenchef. Heinz Reitbauer senior und seine Frau Margarethe führten das Wirtshaus auf 1050 Meter Höhe bis zum Corona-Lockdown. In den vergangenen Jahren begannen Heinz und Birgit Reitbauer – die sich am Pogusch kennengelernt hatten –, Zukunftspläne für das Wirtshaus zu schmieden. Das Ergebnis: ein Wirtshaus, eine Landwirtschaft, Übernachtungsmöglichkeiten inklusive Baumhütten und Glashäuser, die alle energieautark und in einer beeindruckenden Kreislaufwirtschaft betrieben werden. Das geförderte Pilotprojekt setzt weltweit neue Standards in Sachen Nachhaltigkeit und Gastronomie.