Hiroyasu Kawate im Hangar-7: Der Küchensamurai

Als zweiter Japaner in 16 Jahren wetzt Tokios Kulinarik-Sensation Hiroyasu Kawate im Oktober seine Messer im Hangar-7. Wie sein Gourmettempel Florilège vom Geheimtipp zum absoluten Hotspot wurde, warum sein Menü weniger französisch ist, als er selbst glaubt – und welchen Cut Hangar-7 Executive Chef Martin Klein von ihm gelernt hat.
Oktober 31, 2019 | Text: Lucas Palm | Fotos: Helge Kirchberger Photography / Red Bull Hangar-7, David Pichler Photography

Koch, Superheld – oder beides

Tokio, das ist aus europäischer Perspektive zuallererst eine Stadt der Extreme: Knapp zehn Millionen Einwohner – die Metropolregion zählt sage und schreibe 36 Millionen! –, der höchste Fernsehturm der Welt, U-Bahnen, die mit brutalst hineingestopften Menschenmassen den strengen 40-Sekunden-Takt einhalten – ganz zu schweigen von den hohen, mit wilden Leuchtreklamen zugepflasterten Straßenschluchten, in denen es von neonfarbenen Schriftzeichen und Manga-Superhelden nur so wimmelt. Kein Wunder also, dass es sich erstaunlich normal anhört, wenn Hiroyasu Kawate sagt: „Als Kind gab es für mich zwei Möglichkeiten: Koch oder Superheld.“ Heute könnte man sagen: Er hat beides geschafft. Denn der rastlose Japaner gehört mit seinem Tokioter Gourmettempel Florilège zweifelsohne zu den Besten seiner Zunft: Zwei Michelin-Sterne sowie Platz fünf der Asia’s 50 Best Restaurants sprechen eine klare Sprache. Im Oktober ist Kawate endlich Gastkoch im Hangar-7 – als zweiter japanischer Herdmagier seit Bestehen des weltweit einzigartigen Gastkochkonzepts überhaupt. Was er im Rahmen seines Salzburger Gastspiels an französisch-japanischen Balanceakten der Extraklasse liefert, sucht selbst im spitzengastronomischen Epizentrum des Hangar-7 seinesgleichen. Aber eins nach dem anderen. 

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Ein kulinarischer Seiltänzer, der mit jedem Gericht einen messerscharfen Balanceakt ausficht: Hiroyasu Kawate hievt in seinem Zweisterner Florilège in Tokio französisch-japanische High-End-Kreationen auf ein neues Level. 

Koch, Superheld – oder beides

Tokio, das ist aus europäischer Perspektive zuallererst eine Stadt der Extreme: Knapp zehn Millionen Einwohner – die Metropolregion zählt sage und schreibe 36 Millionen! –, der höchste Fernsehturm der Welt, U-Bahnen, die mit brutalst hineingestopften Menschenmassen den strengen 40-Sekunden-Takt einhalten – ganz zu schweigen von den hohen, mit wilden Leuchtreklamen zugepflasterten Straßenschluchten, in denen es von neonfarbenen Schriftzeichen und Manga-Superhelden nur so wimmelt. Kein Wunder also, dass es sich erstaunlich normal anhört, wenn Hiroyasu Kawate sagt: „Als Kind gab es für mich zwei Möglichkeiten: Koch oder Superheld.“

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Ein kulinarischer Seiltänzer, der mit jedem Gericht einen messerscharfen Balanceakt ausficht: Hiroyasu Kawate hievt in seinem Zweisterner Florilège in Tokio französisch-japanische High-End-Kreationen auf ein neues Level.

Heute könnte man sagen: Er hat beides geschafft. Denn der rastlose Japaner gehört mit seinem Tokioter Gourmettempel Florilège zweifelsohne zu den Besten seiner Zunft: Zwei Michelin-Sterne sowie Platz fünf der Asia’s 50 Best Restaurants sprechen eine klare Sprache. Im Oktober ist Kawate endlich Gastkoch im Hangar-7 – als zweiter japanischer Herdmagier seit Bestehen des weltweit einzigartigen Gastkochkonzepts überhaupt. Was er im Rahmen seines Salzburger Gastspiels an französisch-japanischen Balanceakten der Extraklasse liefert, sucht selbst im spitzengastronomischen Epizentrum des Hangar-7 seinesgleichen. Aber eins nach dem anderen.

Es ist interessant: Er selbst bezeichnet seine Küche als französisch. Das mag aus der japanischen Perspektive vielleicht stimmen. Aber wir im Hangar-7 empfinden es als sehr japanisch.

Hangar-7 Executive Chef Martin Klein über Hiroyasu Kawates Oktober-Menü

Der erste Volltreffer nach dem Schulabschluss

Dass Kawate außer Superheld eben auch Koch werden wollte, kommt nicht von ungefähr. „Meine ganze Familie besteht aus Köchen“, erinnert sich Kawate, „als Kind war daher mein einziger Platz die Küche, da gab es keine Alternative.“ Zwar fangen bei den meisten Küchenkapazundern die kulinarischen Erweckungserlebnisse mit Müttern oder Großmüttern an, doch im Falle Kawates war es der Vater, der den beruflichen Werdegang seines Sohnes prägte wie kaum ein anderer: „Mein Vater war Koch für französische Küche. In der Regel war er es, der für mich kochte, als ich klein war. Normalerweise wird in japanischen Familien ja japanisch gegessen. Aber bei uns war das anders.“ Gerade das französische Savoir-faire von Kawate senior wies dem heranwachsenden Hiroyasu von da an den Weg durch all die prestigeträchtigen Stationen, die ihn noch erwarten sollten. Das mit dem Superhelden hatte sich in der Zwischenzeit erledigt – das mit dem Kochen glücklicherweise nicht.

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Big in Japan – und nun endlich Gastkoch im Salzburger Hangar-7: Mit seiner japanisch-französischen Küche im Florilège in Tokio erkochte Hiroyasu Kawate zwei Michelin-Sterne – und rangiert momentan auf Platz fünf der Asia’s 50 Best Restaurants. 

Nach dem Schulabschluss ließ sich Kawate in den französisch inspirierten Gourmet-Hotspots der japanischen Hauptstadt Ebis Q.E.D. und Club et Ohara ausbilden – bevor er das tat, was in die Biografie eines jeden japanischen Spitzenkochs gehört: eine Arbeitserfahrung in einem Sternetempel in Frankreich. Der küchenhungrige Japaner landete einen Volltreffer: Im Dreisterner Le Jardin des Sens der Gebrüder Pourcel holte er sich kulinarisches Rüstzeug, wo vor ihm beispielsweise schon André Chiang zum Meister seines Fachs geworden war. Es war nicht zuletzt diese Referenzerfahrung, die ihn ein Jahr später in die Rolle des Sous Chefs im Dreisterner Quintessence an der Seite von Shuzo Kishida katapultierte. Dort erfuhr der immer funkelndere Rohdiamant den letzten Schliff in Sachen Modern French Cuisine. Keine zwei Jahre später war es so weit: Genug gelernt, Hiroyasu Kawate wagte den Schritt in die Selbstständigkeit.

Japanisch für Franzosen, Französisch für Japaner

Sein frisch eröffnetes Restaurant hieß schon damals, 2009, Florilège. Doch es befand sich noch in Aoyama, einem der wohlhabendsten Stadtteile Tokios. Dort baute sich Kawate eine ebenso glühende wie verschworene Anhängerschaft begeisterter Foodies auf. Das änderte sich nach dem Umzug in das Shibuya-Viertel sechs Jahre später, das mit seinen zahlreichen Geschäften und Büros ohne Frage mehr Pfiff hat als das bürgerliche Aoyama. Es wird nicht zuletzt an der exponierteren neuen Location gelegen haben, dass sich der bisherige Geheimtipp Florilège binnen kürzester Zeit zur kulinarischen Sensation Tokios mauserte. 2016 erhielt es den vielversprechenden One to Watch Award im Rahmen der Asia’s 50 Best Restaurants sowie einen Michelin-Stern. In der 2018er-Ausgabe der scharlachroten Küchenbibel schließlich wurde Kawates Gourmettempel mit dem zweiten Macaron prämiert – und besetzt heute den fünften Platz in der renommierten Asia’s-50-Best-Restaurants-Liste. 

Das intime Restaurant mit nur 22 Sitzmöglichkeiten trifft als Ganzes offenbar den Nerv der Zeit. Von der Straße aus die Treppe hinabgehend, taucht man fast schon in ein Souterrain ein, in das zwar so gut wie kein natürlicher Lichtstrahl dringt, die dämmrige Beleuchtung lässt aber keinen Zweifel über die ästhetischen Ansprüche dieser französisch-japanischen Pilgerstätte. Die geräumige Gestaltung mit der prägnanten metallischen Theke, die an drei Seiten entlang einer großen, offenen Küche verläuft, ermöglicht es jedem Gast, dem Spitzenkoch und seiner Gefolgschaft bei der Zubereitung dieser einmaligen hybriden Gerichte zuzusehen. Sie sind es, die für einen erstaunlich „starken Oktober“ sorgen, wie Hangar-7 Executive Chef Martin Klein begeistert feststellt: „Gerade bei asiatischer Küche haben wir besonders viele Buchungen im Restaurant“, so Klein, „dazu kommt, dass Kawate auch etwas weltoffener ist als viele andere japanische Küchenchefs. Es ist interessant: Er selbst bezeichnet seine Küche als französisch. Das mag aus der japanischen Perspektive vielleicht stimmen. Aber wir im Hangar-7 empfinden es als sehr japanisch. Was die japanische Küche ausmacht, ist ihr extremes Spiel an Konsistenzen – und das fängt schon bei den Amuse-Bouches an.“

Ein neuer Cut für den Chef

Kaum zu glauben, aber selbst der vielgereiste und so weltgewandte Hangar-7 Executive Chef Martin Klein kann noch etwas von seinen Gastköchen lernen. Das Amuse-Bouche Sepia-Kaviar-Ingwer beispielsweise hat es nicht nur unter technischen Gesichtspunkten ordentlich in sich, sondern verdeutlicht auch, warum die japanische Dimension in Kawates Gerichten deutlich gegenüber der französischen überwiegt. „Die Sepia wird bei diesem Amuse-Bouche als Sashimi serviert“, erklärt Klein. „Das geht nur mit einer besonderen Schnitttechnik. Die Sepia muss oben und unten mühsam und millimetergenau aufgeschnitten werden, damit sie dann weich genug ist, um roh gegessen werden zu können. Sonst ist Sepia bekanntlich zäh wie eine Ledersohle. Dieses Sashimi funktioniert also nur mit dieser einen Schnitttechnik, die uns Hiroyasu Kawate beigebracht hat.“ Zur Sepia wird junger Ingwer – gebeizt und eingelegt – serviert. „Japanischer geht’s also einfach nicht mehr, das ist wunderbar“, schwärmt Martin Klein. 

Die Menge an Küchenabfall, die in einem typischen japanischen Restaurant entsteht, ist unglaublich.

Hiroyasu Kawate setzt auf Low-Waste – exotisches Konzept am Zahn der Zeit oder handwerkliches Küchen-Einmaleins?

Für den Meister des Ikarus geradezu das Highlight dieses Menüs: der erste Gang, nämlich Jakobsmuschel, Kombu, Shiso und Kabu-Navetten. „Es sind vergleichsweise große Jakobsmuscheln, die in dicken Scheiben als Sashimi serviert werden. Gefüllt werden sie mit Kombu, Shiso und einer Navettencreme aus der Kabu-Navette. Auch hier muss man sagen: Japanischer geht’s nicht mehr.“ Zumindest einen Tick französischer kommt der nächste Gang daher: Die Makrele, mit einer Kartoffel-Trüffel-Millefeuille gefüllt, wird mit einer herzhaften Roquefort-Sauce versehen. „Blauschimmelkäse ist in Japan ja alles andere als verbreitet“, erinnert Martin Klein. „Trotzdem würde ich sagen: Das Menü ist ein Viertel französisch und drei Viertel japanisch.“ 

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A5-Wagyu-Consommé – geräucherte Kartoffel – Petersilienöl

Das verdeutlicht sich vor allem bei Kawates Signature Dish – einem Shabu Shabu aus Wagyu Beef. „Die Wagyu-Scheibe“, erklärt Klein, „wird in einem strengen Rinder-Consommé kurz pochiert. Dann wird sie auf ein französisches Kartoffelpüree aus der Espumaflasche, das geräuchert wurde, gelegt. Dazu kommt ein Rote-Beete-Rinder-Consommé, das mit Sojasauce abgeschmeckt wurde – und Petersilienöl.“ Im Florilège hat Kawate selbst seinem Signature Dish den Namen Nachhaltigkeit gegeben – aus einem einfachen Grund: „Für mein Shabu Shabu“, so Kawate, „verwende ich das trockene Fleisch der Mutterkuh. Mit demselben Fleisch, den Knochen und Gemüse bereite ich die Brühe zu – auf diese Weise muss nicht sehr viel weggeschmissen werden.“ 

Low-Waste als Kücheneinmaleins

Was nebensächlich klingt, sieht Kawate selbst als zentrale Säule seiner Küche an: „Die Menge an Küchenabfall, die in einem typischen japanischen Restaurant entsteht, ist unglaublich“, so der Spitzenkoch. „Deshalb habe ich begonnen, Küchenreste in die Gerichte zu integrieren, die wir servieren. Zum Beispiel verarbeiten wir die Reste eines vorangegangenen Gerichts zu einer Gemüsesuppe. Unsere ausländischen Gäste wissen das tatsächlich sehr zu schätzen, doch für japanische Kunden ist es schwieriger zu verstehen, warum wir Gerichte von Resten anbieten. Durch meine Tätigkeit im Restaurant hoffe ich, Menschen dazu ermutigen zu können, mit dem, was wir haben, verantwortungsvoller umzugehen.“

Für Martin Klein ist Kawates Low-Waste-Philosophie weniger exotisches Konzept als vielmehr handwerkliche Normalität, nach der jeder Spitzenkoch handeln sollte: „Ich glaube“, so Klein, „dass jeder Koch, der ein wenig Hausverstand hat, automatisch nachhaltig und low-waste arbeitet. Gut, vielleicht ist es seit ein paar Monaten wieder ein Trend und wird überall aufgegriffen, aber genauso vernünftig wie Kawate arbeiten ja auch wir im Hangar-7.“

Das kann der japanische Spitzenkoch mehr als nur bestätigen. Von der Kongenialität des Teams um Martin Klein und dem Ikarus-Patron und Jahrhundertkoch Eckart Witzigmann begeistert, könnte das Salzburger Gastspiel des Japaners der Anfang einer vielversprechenden Kooperation sein: „Ich hoffe, dass das der Anfang ist für eine große Zusammenarbeit zwischen dem Hangar-7 und Japan. Vielleicht kann Hiroyasu Kawate mir ja für die kommenden Jahre jemanden empfehlen und auch seine Kollegen dafür begeistern, nach Salzburg in den Hangar-7 zu kommen.“ Fest steht: Nach diesem einmaligen Menü kann man sich das nur wünschen. Und wer weiß: Nachdem in den hohen Sphären der Spitzengastronomie Netzwerk alles ist, könnte der weltoffene Kawate bald zum Türöffner für das nächste japanische Highlight im Hangar-7 werden. 

www.aoyama-florilege.jp

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