Köche nehmen sich zu wichtig
Die Köche nehmen sich viel zu wichtig.“ Das erste Service gleich ein Ass von Heinz Reitbauer jun. Straighte Brille mit hauchdünnem Rahmen, blütenweiße Kochjacke, aus dem immer die Knopfleiste seine Hemds hervorlugt, kurzer, korrekter Haarschnitt. Um die Lippen ein leicht spitzbübisches Lächeln. Heinz Reitbauer jun., der Typ erfolgreicher Architekt in New York, er liebt sonst eher die leiseren Töne. Wenn er in der ess.bar auf einem der überdimensional großen goldenen Sessel, von dem sogar ein Zweimeterhüne die Beine baumeln lassen kann, über seine Arbeit spricht, hat er wirklich etwas von Manhattan an sich, wie wenn Woody Allen seine Filme Revue passieren lässt. Wir sitzen im Wiener Stadtpark, Restaurant Steirereck, ein weiterer Klassiker in der 35-jährigen Reitbauer-Geschichte. Wenn es ums Kochen geht, ist Reitbauer aber sehr bestimmt.
„Wir wollen die Zutaten inszenieren und nicht bis zur Unkenntlichkeit verändern.“ Kleiner Seitenblick auf die immer größer werdende Anzahl von Stickstoffpanschern und Schäumchenschlägern. Dem großen Zenmeister der Molekularküche, El Bulli, will er den Lack aber nicht abkratzen. „Viele Dinge in seiner Küche sind gut und er hat seinen Stellenwert, nur wir wollen uns nicht in diese Richtung entwickeln.“ Natürlich hätte er nichts dagegen, ein halbes Jahr in der Küche tüfteln zu können, bevor er damit hinaus zum Gast geht. „Aber das spielt es wirtschaftlich leider nicht. Um einen Betrieb mit 70 Leuten zu erhalten, muss das Geschäft rennen. Das große Geld lässt sich mit so einer Art Gastronomie ohnehin nicht machen.“ In einem gut gehenden Fast-Food-Laden könnte man sich den Reitbauer allerdings wohl auch schwer vorstellen.
Heinz Reitbauer wollte übrigens wirklich Architekt werden, die Gastronomiegene seiner Eltern schlugen dann aber doch durch. Heinz sen. betrieb früher eine Kegelbahn, Margarethe eine Pension mit Bar. Bevor sie in ihrer Heimat, der Steiermark, gastronomische Wurzeln schlagen konnten, bauten sie in Wien die Keimzelle ihres Geschmacksreiches auf. Hunderte steirische Gasthäuser besichtigte Heinz sen., nichts Passendes dabei. In Wien fiel ihm das Ur-Steirereck praktisch in den Schoß. Die erste große Spielwiese für den Junior wurde allerdings der Zweitbetrieb auf dem Pogusch. Eine steirische Gemütlichkeitsoase, aus sieben Häusern zusammengebaut. „Eine romantische Bauernkulisse“, spotten böse Zungen. Erfolgreich ist sie auf jeden Fall. Sogar mit dem Hubschrauber wird der Pogusch mittlerweile hordenweise von Promis bereist.
Eigentlich hatte Heinz Reitbauer jun. nur ein Jahr in der Steiermark eingeplant. „Als Junger hat es mich natürlich in die Großstadt gezogen.“ Aus dem Gastspiel mit wöchentlichen Abstechern in das Steirereck nach Wien sind schließlich neuneinhalb Jahre geworden. Obwohl, das Land-Feeling ist Reitbauer auch in Wien nicht abhanden gekommen. „Auf dem Pogusch haben wir in der Küche nicht gesehen, ob die Sonne scheint oder ob es schneit. In Wien schaue ich genau in den Stadtpark. Wunderbar, jetzt lasse ich mich von der Natur inspirieren und bringe sie auf den Teller.“
Reitbauer sieht sich nicht als Trendsetter. Nur weil etwas neu ist, hat es nicht automatisch Qualität. Es muss auch kulinarischen Sinn ergeben. „Wenn wir etwas in Angriff nehmen, dann identifizieren wir uns mit den Menschen und mit dem Umfeld dort.“ Und es ist ein völlig anderer Zugang, ob man in der Großstadt kocht oder auf 1.000 Meter Seehöhe auf der Alm. In beiden Fällen kann man aber hohe Ansprüche erfüllen. „Man kann ein Butterbrot auf demselben Haubenniveau servieren wie einen Hummer. Wichtig ist das Verständnis für das Produkt – egal, ob das eine Trüffel oder eine Kartoffel ist.“
„Wo gehst hin?“ „Ins Steirereck.“ „Du Armer, nimm was zum Essen mit! Weil, den Reitbauers ist der Koch davong’rennt . . .“ Ein gängiger Steirereck-Witz machte die Runde, als Vierhaubengarant Helmut Österreicher quasi über Nacht im Frühjahr 2005 die Kochhaube an den Nagel hängte. Prompt folgte eine Abwertung um eine Haube. Für Reitbauer kein Grund, in die Donau zu springen. Seit er ein kleiner Bub ist, hat er mit Hauben und Bewertungen gelebt. Im Endeffekt zählt das Geschäft. Von Helmut Österreicher spricht er nach wie vor in höchsten Tönen, regelmäßig wird der Gedankenaustausch noch gepflegt. Natürlich, es wäre kein Reitbauer, würde er nicht wieder an der vierten Haube basteln, „aber ich bin nicht krankhaft ehrgeizig“.
Die Zähigkeit, das konsequente Dranbleiben am Ziel kann er dennoch nicht ablegen. Die Obauers gaben ihm als Lehrbuben das nötige Rüstzeug mit. Obwohl er die ersten drei Monate nur Rotz und Wasser weinte, wie er offen zugibt. „Wenn du auf einen 4000er klettern möchtest, musst du auch die Schmerzen spüren. Ob ich das heute noch aushalten würde, weiß ich nicht.“ Alain Chapel in Lyon war auch nicht gerade ein Einfacher. Siebenmal musste sich Reitbauer bewerben, bevor er endlich genommen wurde. Kein leichtes Brot. Zu Beginn wurde man vom Meister prinzipiell ignoriert, irgendwie musste man schon auffallen. Regelmäßig erschien der Junge schon um vier in der Früh, Chapel grüßte ihn nicht einmal. Erst beim 16. Mal und er bekam als Draufgabe auch gleich noch einen Kaffee. Der neue Status brachte auch eine große Ladung Verantwortung. Als der Patissier ausfiel, musste Reitbauer ins kalte Wasser (ein)springen und aushelfen. Obwohl er die Hälfte der Kommandos gar nicht verstand, hielt er sich irgendwie über Wasser. Genauso, als seine Frau Birgit die Geburt ihres Sohnes Lorenz vor drei Jahren fast nicht überlebte. Einer seiner schwersten Momente, nur sein Glaube hielt ihn aufrecht. Seitdem betet er regelmäßig.
Flash zurück in die Gegenwart in das Steirereck. Ein Gesamtkunstwerk, das sich in einer Villa im Stadtpark über zwei Stockwerke ausbreitet. Frei nach dem Reitbauer’schen Grundsatz: „Restaurants sind Bühnen, Orte kulinarischer, künstlerischer und gesellschaftlicher Inszenierung.“ Zu ebener Erde eine Meierei, ein eigenes Käse-, Mehlspeisen- und Milchlokal (auch mit Stutenmilch). Reitbauer will den Wienern ihre frühere Milchtrinkhalle wieder zurückgeben. Ziemlich opulent: mit 120 Käsesorten in zwei riesigen Schaureiferäumen präsentiert – Milchflaschen zu Leuchtkörpern umfunktioniert. Im ersten Stock das Restaurant mit roten Stühlen, Goldfarben an den Wänden, patentiertem, fein justierbarem Beleuchtungssystem und herrlichem Blick in den Park. In der ess.bar, einem bunten Raum mit orangen Glasfliesen, rotem Murano-Luster mit Korallenoptik und einem einzigen großen Hochtisch in Gold, speist man einfachere Gerichte – Taubenhaxel statt Taubenbrust. „Vom Armani will man hin und wieder auch nur ein Halstuch und nicht gleich einen ganzen Anzug.“ Großes Theater wird im Obergeschoss zelebriert, einem Raum für größere Gesellschaften.
Im Zentrum steht der Gast, der für ein paar Stunden seine Alltagswelt verlassen soll, Zeit haben soll, in Ruhe zu reden. Und auch Gesprächsstoff bekommt, wenn das Essen serviert wird. Die Servicekräfte sollen dabei im Hintergrund bleiben, kleine Infozettel sollen die Basisfakten über das Gericht liefern. „Nicht ich als Koch soll im Rampenlicht stehen, wie das heute oft üblich ist, sondern das Geschmackserlebnis.“ Neue Interpretation klassischer Geschmacksharmonien stehen im Vordergrund. Eigene Kreativabteilungen müssen daher permanent neue Vorschläge liefern, die Auslese ist aber streng. Von zehn Gerichten kommt im Schnitt nur eines zur Auswahl.
„Neu ist gut, der Gast soll aber auch bekommen, was er erwartet, und nicht überfordert werden.“ Natürlich steht Heinz Reitbauer für das Natürliche. Kalb, Rind und Lamm kommen alle vom Pogusch, wo die frische Luft auf seinen Wanderungen die besten Einfälle blühen lässt. Die Edelteile sind nicht seine Lieblingsstücke – auf Wangen, Kutteln, Beuschel und Schultern fährt er ab. Und die persönliche Linie muss in jedem Gericht spürbar sein. Kein Einheitsbrei, wie in vielen Hotels – wenn man aufwacht und sich fragt: „In welchem Hotel bin ich eigentlich?“ Man darf sich noch viel erwarten von Heinz Reitbauer. Kerbelwurzeln, Huflattich, Bärentatzen und Dirndln werden nach wie vor eine Rolle spielen. Spannend interpretiert, aus einem neuen Blickwinkel – Natur pur. „Ich bin noch in der Findungsphase. 10 Jahre Pogusch muss man erst einmal hinter sich lassen.“
Stör mit Eukalyptus-Honig, sauren Linsen & Schwarzwurzeln
Rezept von Heinz Reitbauer jun.
Zutaten für 4 Persone
400 g Störfilet/ohne Haut,
1 EL Pflanzenöl, 1 TL Butter,
1 Zweig Thymian, Salz, Pfeffer, 1 KL Eukalyptus-Honig
80 g Bio-Berglinsen,
2 Stk. mittelgroße Schalotten,
10 g Olivenöl, 10 g Butter,
125 ml Fischfond,
20 ml Weißweinessig,
20 ml weißer Portwein,
20 ml Vermut, 1 Zweig Thymian,
1 Lorbeerblatt, Salz, Pfeffer, Muskat
200 g Schwarzwurzeln, 1/2 Zitrone,
50 g grüne, blanchierte Sojabohnen oder Saubohnen, 10 g Butter,
1 Bund Rucola, ca. 100 ml Pflanzenöl zum Frittieren, 50 ml Traubenkernöl
Zubereitung
Die Berglinsen für 2 Stunden in kaltem Wasser einweichen, abseihen.
In Salzwasser für 4–5 Minuten blanchieren.
Den Rucola im Pflanzenöl frittieren, abtropfen und mit dem Traubenkernöl mixen, fein passieren.
Die Hälfte der Schwarzwurzeln schälen und sofort in Zitronenwasser einlegen.
Anschließend kleinwürfelig schneiden.
Die restlichen Schwarzwurzeln waschen und mit einem Gemüseschäler dünne Streifen schälen, sofort blanchieren und abschrecken. Die Schalotten würfelig schneiden und in Olivenöl und Butter anschwitzen.
Mit Weißweinessig, Vermut und Portwein ablöschen und auf die Hälfte einkochen.
Mit Fischfond aufgießen, Lorbeer, Thymian, Schwarzwurzel-Würfel und Linsen zugeben und 10 Minuten leicht köcheln lassen.
Mit Salz, Pfeffer und Muskat abschmecken.
Das Störfilet zuputzen und in 4 gleich große Stücke schneiden, mit Salz und Pfeffer würzen und in Pflanzenöl beidseitig scharf anbraten. Thymian und Butter zufügen und damit arrosieren. Den Stör mit Eukalyptus-Honig bestreichen und kurz unter dem Salamander (Oberhitze) erhitzen.
Die Schwarzwurzel-Streifen mit den Sojabohnen in Butter sautieren, salzen und flächig auf den Tellern verteilen.
Die sauren Linsen auf die Schwarzwurzel geben, den Stör darauf setzen und mit dem Rucolaöl beträufeln.
Wordrap
Geld
Ich bin ein Genussmensch durch und durch. Für einen guten Wein gebe ich schon etwas aus, ich habe 70 Mouton Rothschilds.
Glaube
Als meine Frau bei der Geburt unseres Sohnes Lorenz fast gestorben wäre, hat mir der Glaube sehr geholfen. Ich bete auch öfter.
Islam
Ich könnte mich mit anderen Religionen mehr anfreunden, ich bin kein Radikaler.
Ich bin…
bescheiden, nicht krampfhaft kreativ und extrem zufrieden mit meinem Leben.
TV-Köch
Sie trugen viel dazu bei, dass Kochen modern wurde und die Wertschätzung für gute Produkte größer wurde.
Liebe
Die Mutter von allem. Wir wollen dafür geliebt werden, was wir machen.
Einen Kaffee…
würde ich lieber mit meiner Oma trinken als mit einem Promi. Für mich ist sie total prominent.
Astrologie
Ich bin Löwe – großzügig, genusssüchtig, brülle selten. Und ich wäre gerne faul wie ein Löwe.
Reitbauer im Zeitraffer
Im Betrieb seiner Eltern wollte Heinz Reitbauer (36) seine Ausbildung nicht genießen, daher verdiente er sich bei den Gebrüdern Obauer in Werfen seine Sporen, bei Alain Chapel in Lyon und im Restaurant Mosimann in London. Dazwischen absolvierte Heinz Reitbauer Praktika bei Joel Robuchon in Paris, im Hotel Oriental in Bangkok und im Restaurant Spago in Los Angeles. Die Steirereck-Dependance auf dem Pogusch wollte er ursprünglich nur ein Jahr leiten, fast zehn sind es geworden. Nun ist er Patron im Steirereck in der Meierei in Wien und wurde mit drei Hauben belohnt.
Info:
Steirereck
Restaurant: Mo. bis Fr. von 12.00 bis 15.00 Uhr und ab 19.00 Uhr
ess.bar (goldener Tisch): ab 17 Uhr,
Samstag, Sonntag und Feiertag geschlossen.
Meierei (Milch- und Käsebar)
Mo. bis Fr. von 9.00 bis 22.00 Uhr,
Samstag, Sonntag von 9.00 bis 19.00 Uhr, feiertags geschlossen.
Am Heumarkt 2a
A-1030 Wien
Tel. +43/1/713 31 68