Beil oder Keule
Als wir Kolja Kleeberg zum persönlichen Interview bitten, schlendert er gelassen durch die Küche seines Restaurants in der Nähe des wiedererstandenen Berliner Gendarmenmarktes. Schnell gibt er noch ein paar Anweisungen, bevor das Abendgeschäft losgeht. Sein schlauchförmig langes Designerlokal mit auffallend atmosphärischer indirekter Beleuchtung ist bis zum letzten Platz reserviert. Er klaut spitzbübisch eine kleine Kostprobe vom gerade abkühlenden Blech. Dem etwas gestresst erscheinenden Jungkoch schenkt er noch ein aufmunterndes Augenzwinkern beim Verlassen der Küche.
Der 42-Jährige streicht beim Gehen durch das Restaurant das – seine rebellische Natur unterstreichende – etwas längere Haar nach hinten. Wir setzen uns an einen Tisch unter der ovalen, rötlichen Tonnendecke aus edlem Birnbaum und versuchen chronologisch seinen Werdegang zu beleuchten. Kolja ist ein „Spätberufener“. Er absolviert sein Abitur 1983 und nimmt Schauspiel- und Gesangsunterricht. Während seiner Tätigkeit in Nebenrollen, als Inspizient und Regieassistent am Stadttheater Koblenz wird ihm schmerzhaft bewusst, dass Engagements schwierig zu erlangen sind. Sein Vater drängte ihn, seinen Lebensunterhalt „vernünftig“ zu bestreiten. Etwas „Anständiges“ zu lernen wird auch zum Wunsch des jungen Kolja Kleeberg.
Kochlehre erst mit 22 So lässt er sich im dafür ungewöhnlichen Alter von 22 Jahren auf eine Kochlehre im Restaurant „Le Marron“ in Bonn ein. Er übernimmt viel schneller als sonst als „Azubi“ üblich Verantwortung für den Küchenbetrieb. Weitere Stationen in seine Karriere führen ihn zunächst ins „Rino Cásati“ und weiter zu Eduard Hitzberger bis ins Hotel Haus Paradies in der Schweiz. 1993 wird er mit den Restaurants „Gut Sarnow“ und „Am Karlsbad“ im aufblühenden Berlin selbstständig. Allerdings war seine Selbstständigkeit in einer etwas einseitig verlaufenden Partnerschaft keine positive Erfahrung für den Sohn eines juristischen Dozenten an der Bundeswehrakademie und einer Lehrerin. Sein Leben sollte sich schlagartig ändern, als ihn Ende 1996 ein Anruf von Josef Viehauser (legendärer Chefkoch des „Le Canard“ in Hamburg bis zu seinem Konkurs im Jahr 2002) erreicht. Viehauser beriet einen Investor rund um ein neues Designerlokal-Projekt in Berlin. Er suchte einen leicht avantgardistischen Küchenchef, den er schon bald in Kolja – eigentlich Gerhard Nikolaus – Kleeberg fand. „VAU erinnert noch heute an V wie Viehauser“, lüftet der in Köln geborene Starkoch das Geheimnis rund um den seltsamen Namen. Das Restaurant ist ein großer architektonischer „Wurf“ des Meisterarchitekten Meinhard von Gerkan (Flughafen Berlin-Tegel, Lehrter Bahnhof), das Design stammt von Peter Schmidt (tätig u. a. für BOSS und Davidoff). Die Heimeligkeit wird mit großflächigen Bildern des Kölner Malers Oliver Jordan unterstützt. Danach ging es Schlag auf Schlag: Im Februar 1997 wurde das Lokal eröffnet und war in den folgenden Jahren im wiedererstarkten Berlin beinahe nahtlos ausgebucht. Kleeberg wurde dreimal zum Berliner Meisterkoch gekürt und erhielt sogar den Sonderpreis um Verdienste um die Berliner Gastronomie. Den ersten Michelin-Stern gab es schon ein halbes Jahr nach der Eröffnung, Kleeberg hat diesen bis zum heutigen Tage – beinahe 10 Jahre durchgehend! – erfolgreich verteidigt. Durch finanzielle Turbulenzen des Investors hat Kleeberg im Sommer 2002 die Chance ergriffen, das VAU nicht „nur“ als Küchenchef zu führen, sondern auch als neuer Besitzer zu übernehmen. Drei Hauben bei Gault Millau unterstreichen Kleebergs Philosophie.
Lehrmeister beeinflussen „Ich verdanke alles meinen Lehrmeistern!”, wirft der in Köln geborene und in Koblenz aufgewachsene Wahl-Berliner bescheiden ein. Von Peter Himbert – damals im „Le Marron“, heute im „Molí des Torrent“ auf Mallorca – habe er die perfekte Küchenorganisation gelernt. Von Edi Hitzberger – erst unlängst wieder zum Koch des Jahres in der Schweiz bestätigt – hat er sich abgeguckt, wie man beneidenswert menschlich mit seinem Personal umgehen kann und trotzdem mit dem gesamten Team Höchstleistungen vollbringen kann. Von Josef Viehauser, bei dem viele heutige Stars wie z. B. Johann Lafer dienten, hat er sich die Reduktion auf das Wesentliche mit auf den Lebensweg genommen. Rino Cásati hat ihm vermittelt, was ein charismatischer Küchenchef in der Rolle des klassischen Gastgebers leisten kann.
Apropos Gastgeber. Nachdem sich das Lokal mit Gästen gefüllt hat und Kolja Kleeberg in die Küche verschwand, taucht er immer wieder aus der Küche auf, um mit Gästen zu scherzen oder ihnen den nächsten Gang – in beneidenswert gewählten Worten noch schmackhafter machend – zu präsentieren. Dem nicht genug, intoniert er plötzlich vor dem Dessert – auf der Schürze noch die Spuren der Dramen und Lustspiele am Herd – gemeinsam mit Sommelier Hendrik Canis die VAU- bzw. „Wow“-Version von „Bad Leroy Brown“. Beim Refrain scheint das ganze Lokal in Stimmung zu sein und mitzusingen. Mitgerissen von Kolja Kleeberg, wandelt sich das ganze Haubenlokal in ein besonderes, gruppendynamisches Gesamterlebnis. Es gibt kaum einen Tisch, der nicht mit einsteigt … Der charmante Gastgeber freut sich über den Applaus, plaudert aber ebenso gerne mit den Gästen ohne Effekthascherei; ein liebenswürdiger Koch „zum Anfassen“ also.
„Berlin Cuisine“ Seine Küche ist geprägt von frischen, saisonalen – vor allem regionalen – Produkten mit Schwerpunkt Berliner Umland. Besonders Wild, Fisch, Lamm und Gemüse sind variantenreich vertreten, Produkte aus biologischem Anbau werden mit internationalen Spitzenprodukten kombiniert. Ziel ist ein transparenter Kochstil mit Betonung auf den Eigengeschmack der Produkte. Seinen Küchenstil, der ungezwungen mit vielen Einflüssen spielt und in keine Schublade passt, nennt er mit einem Augenzwinkern „Berlin Cuisine“, „weil mir das die größte Freiheit im Umsetzen unserer ganz persönlichen VAU-Küche lässt und ein Spiegelbild der pulsierenden Kultur der Stadt ist, in der ich lebe“. Ein Zitat aus der Berliner Küche sind z. B. seine Eisbeinscheiben mit Flusskrebsen. Jedenfalls setzt er konsequent als Philosophie der Reduktion auf das Wesentliche maximal drei Produkte auf dem Teller ein. Die Kritiker beschreiben seine Gerichte oftmals auch als „Gaumenüberraschung“, wie zum Beispiel den Steinbutt mit Kapernkruste und weißem Bohnenpüree. So gesehen hat sein Speisekartenangebot „Kartoffelschmarr’n mit Imperialkaviar“ schon einen Evergreencharakter in seiner häufig wechselnden Karte.
Stars, Promis, VIPs Kleeberg erfreut sich über einen sehr hohen Anteil an Gästen aus Übersee aufgrund hervorragender Kritiken in z. B. der New York Times. So fand auch George Bush senior den Weg ins VAU. Kolja Kleeberg erzählt bei typisch hochgezogenen Augenbrauen, wie ihn der damals amtierende Präsident der USA nach dem Essen zum Tisch rufen ließ. Mit einem „Great, wonderful!“ nahm Bush seine Krawattennadel ab und überreichte diese dem staunenden Berliner Gourmet-Aushängeschild. In die güldene Krawattennadel ist „President of the United States“ eingraviert. Als Kleeberg begeistert von dieser besonderen Auszeichnung diese Geschichte im Berliner Freundeskreis erzählt, erfährt er, dass vom Concierge im Adlon bis zum Leiter der Security mindestens 16 solcher Krawattennadeln binnen weniger Tage in Berlin in Umlauf kamen …
Kolja Kleeberg ist freitagsabends sehr oft Gast bei Johannes B. Kerner und kocht gemeinsam mit Stars wie Johann Lafer, Alfons Schubeck und Sarah Wiener. Während man aus der Küche ein Lachen vernimmt, was die entspannte und kollegiale Grundstimmung im motivierten Team der insgesamt fast 30 Mitarbeiter unterstreicht, erzählt der seine schauspielerische Ader freudig einsetzende Starkoch eine peinliche Geschichte vom Bekochen der Filmdiva Joan Collins. Die wollte als Vorspeise ein Kartoffelsoufflé und genau beim Zubereiten des Mahls für den Star aus „Dynasty“ wurde nur eine Pfanne statt der sonst üblichen drei pro Portion verwendet, obwohl Soufflés ihre „Besonderheiten“ haben und nicht immer gelingen. Diese eine Pfanne gelang zwar, landete jedoch durch ein Missgeschick auf dem Küchenboden. So musste Collins, fast schon zum Biest werdend, unfassbare und peinliche 40 Minuten auf einen Gang warten. Mit schielendem Auge auf das Personal zeigt uns Kleeberg beim Verabschieden noch den Notausgang der Küche. Hier haben sich Stars wie Lenny Kravitz, Dustin Hoffman und Jodie Foster („The most delicious meal ever!“) mit ihrer Unterschrift bedankt. Nach unserem ersten Abend bei Kolja können wir das nur zu gut verstehen …
Wordrap
• Was treibt Sie an? Lust auf Kreativität und Spaß als Koch und Gastgeber im eigenen Restaurant.
• Eine Niederlage, die Sie schwer verdaut haben? Das ruhmlose Ende meiner ursprünglichen Laufbahn als Schauspieler. Andererseits hat genau das zum Start meiner Laufbahn als Koch geführt.
• Wem würden Sie einen Orden verleihen? Meiner Frau!
• Ein Erlebnis, dass Sie nie vergessen? Anruf von Josef Viehhauser, der mich letztendlich ins VAU brachte.
• Wobei entspannen Sie sich am besten? Musik, Gesang und Kuscheln.
• Schenken Sie uns eine Lebensweisheit. Niemals aufgeben, an sich glauben, aber für alles offen sein.
• Wie definieren Sie Glück? Zeit mit meiner Familie, meiner Frau und mit meinen beiden Jungs verbringen zu können.
• Nach welchen Kriterien suchen Sie Mitarbeiter aus? Wir legen Wert auf „Teamspirit“. Jeder Mitarbeiter muss in punkto Engagement, Lockerheit, Streben nach Professionalität und Spaß an der Arbeit zum Rest der Mann- und Frauschaft passen.