Kulinarik Royal
Fotos: Werner Krug
Es gibt Köche mit mehr Ecken und Kanten, mit mehr Schnauze-offen-Halten und Einfach-Rausballern. Typ Eisenbeißer, der brachial mal jeden kleinen Schiss von sich selbst kommentiert, obwohl es nichts anderes ist als ein laues Lüftchen. Und dann gibt es da die echten Kerle. Die, die nicht zwanghaft über sich selbst reden müssen. Jene, die den aufgeblasenen Brüllaffen gediegen einen linken Haken einschenken, während sie mit der Rechten ungestört weiter ihr Ding durchziehen. Mit Charme, Schliff und ein klein bisschen Augenzwinkern, das sie von Phlegmatikern unterscheidet.
Und mit dem Quantum an Bodenständigkeit, das die Nuance zwischen Highflyern und konstant erfolgreichen Menschen ausmacht. Typen wie Heinz Reitbauer eben. Der laut S.Pellegrino-Liste beste Koch im deutschsprachigen Raum und die Nummer 009 der Welt. Ein Statement, das lauter hallt als alle der Küchen-Gorillas zusammen, die sich vor lauter Eitelkeit selbst auf die Brust trommeln.
Allerdings auch eines, das mit zwei der ausgeprägtesten Charakterzügen von Reitbauer schwer in Einklang zu bringen ist. Nämlich mit seiner Bescheidenheit und dem Faible für Fairness. „Diese Rankings und Listen sind vergänglich und…
Fotos: Werner Krug
Es gibt Köche mit mehr Ecken und Kanten, mit mehr Schnauze-offen-Halten und Einfach-Rausballern. Typ Eisenbeißer, der brachial mal jeden kleinen Schiss von sich selbst kommentiert, obwohl es nichts anderes ist als ein laues Lüftchen. Und dann gibt es da die echten Kerle. Die, die nicht zwanghaft über sich selbst reden müssen. Jene, die den aufgeblasenen Brüllaffen gediegen einen linken Haken einschenken, während sie mit der Rechten ungestört weiter ihr Ding durchziehen. Mit Charme, Schliff und ein klein bisschen Augenzwinkern, das sie von Phlegmatikern unterscheidet.
Und mit dem Quantum an Bodenständigkeit, das die Nuance zwischen Highflyern und konstant erfolgreichen Menschen ausmacht. Typen wie Heinz Reitbauer eben. Der laut S.Pellegrino-Liste beste Koch im deutschsprachigen Raum und die Nummer 009 der Welt. Ein Statement, das lauter hallt als alle der Küchen-Gorillas zusammen, die sich vor lauter Eitelkeit selbst auf die Brust trommeln.
Allerdings auch eines, das mit zwei der ausgeprägtesten Charakterzügen von Reitbauer schwer in Einklang zu bringen ist. Nämlich mit seiner Bescheidenheit und dem Faible für Fairness. „Diese Rankings und Listen sind vergänglich und mir eigentlich immer schon ein wenig suspekt gewesen. Es gibt in Österreich eine Handvoll weiterer Betriebe, die das eigentlich verdient hätte. Aber es spielen eben viele Faktoren mit, warum man dort steht, und wir müssen es eh nehmen, wie es ist.“
Leben und sterben lassen
Dass das – trotz dem Stolz darüber, vor allem für sein Team – echte Überzeugung ist und kein PR-trächtiges Understatement, liegt einerseits an seinem Naturell, andererseits kann man sich recht gut vorstellen, dass Papa Reitbauer seinem Sohn in jüngeren Jahren vermutlich die Ohren lang gezogen hätte, wenn der Nachwuchs mit plattitüden-schwingenden Marotten von sich reden gemacht hätte.
Nachsatz zu den Top-Bewertungen: „Der Erwartungsdruck wird dadurch nicht kleiner.“ Als ob der für Reitbauer jemals besonders gering war. Auch nicht im Jahr 2005: Seine Eltern, Heinz und Margarethe, erfolgreiche Gastronomen, und er Küchenchef-Nachfolger im (neu eröffneten) Steirereck im Stadtpark von Helmut Österreicher. Als Reitbauer jun. nach knappen zehn Jahren vom Wirtshaus am Pogusch in die Wiener Nobel-Dependance wechselt, weht ihm ein rauer Wind entgegen. Konkret: zwei Punkte weniger im Gault Millau. „Einmal loben sie dich, dann bekommt man eine drüber. So ist es eben.“ Und dann die scheinbar niemals abebbende und leidige Diskussion, warum es der Reitbauer denn bis jetzt noch nicht geschafft hat, der erste 3-Sterne-Koch Österreichs zu werden. Ist er nun mal nicht, aber das ist nicht sein kalter Krieg und er wird deswegen nicht verbohrt oder verbiegt sich in eine Richtung, die ihm nicht entspricht.
Wobei, es scheint eigentlich so, als ob sich die Küchen in seine Richtung entwicklen. So wie die Obauers, bei denen er auch einen Teil seiner Lehrzeit verbrachte, setzt er schon seit jeher auf Regionalität. „Das Thema ist heute leider so abgelutscht, denn jeder, der eine seiner Rüben direkt beim Bauern kauft, bezeichnet seine Küche als regional.“ Ob berechtigt oder nicht, lässt Reitbauer offen. Er ist ein umgänglicher Mensch.
„Es ist die eigene Einzigartigkeit, die man heute herausstellen muss. Kreativität wird einen immer größeren Stellenwert einnehmen. Mein Problem ist nur, dass ich selbst bei gewissen Dingen zu brav bin. Das stört mich am meisten, dass wir so konservativ denken, obwohl ich uns viel jugendlicher verankert sehe.“ Deswegen steckt er auch viel lieber Kritik dafür ein, zu weit gegangen zu sein, überzeichnet zu haben, als dafür, unaufregend oder fade zu sein.
Wenn man so will, ist die Langeweile Reitbauers persönlicher Dr. No: „Vielleicht bin ich ja selbst die Bremse unserer eigenen Revolution? Ich kann mich nicht jeden Tag neu erfinden, aber wir müssen für die nächste Generation jung bleiben.“ Dass er vor Jahren ein Hangar-7-ähnliches Gastkoch-System konzeptioniert hat, das aus diversen Gründen nicht umgesetzt wurde, weiß kaum jemand, beweist aber die Weitsichtigkeit Reitbauers, für den „Veränderung das A und O“ ist.
Wie das gemeint ist, erklärt er am Beispiel seines Vaters. Der hat auch allen Gäste-Unkenrufen zum Trotz aus dem ursprünglichen Wirtshaus Steirereck ein Gourmetrestaurant gemacht. „Nur weil einer sagt, dass er nicht mehr kommt, wenn sich was verändert, heißt das nicht, dass man sich nicht weiterentwickeln darf. Seine Richtung zu ändern, ist nicht einfach, da hängt ja auch die eigene Existenz dran. Aber wenn du dich nicht drübertraust, was Neues anzubieten, wirst du mit deinen Gästen alt. Und irgendwann sterben dir die Gäste weg und du mit ihnen. Zu viel und zu weit voraus zu sein, ist das wesentlich kleinere Übel.“
Setzt Reitbauer ein Gericht auf die Karte, dann denkt er immer einen Schritt weiter als nur an den Geschmack. Dass der sowieso astrein und auf dem Punkt sein muss, versteht sich in seiner Liga von selbst. „Wir sind ein wenig von dem Thema weg, dass wir Angst haben, das Falsche auf die Karte zu setzen. Wir machen das vorher so oft durch, dass wir wissen, dass es zu uns passt. In Summe muss es stimmig sein, von der Komposition im eigentlichen Sinn, in der Abstimmung auf das Gesamtmenü und in Bezug auf unser Haus an sich.“
Was Reitbauer erzeugt, sind Emotionen und er spielt mit Themen, die gerade aktuell sind. Wie etwa die Petits Fours zum Thema Bienensterben. Mit Bienenwachs umschlossene Taglilien, Honigmelonen und schwebende Bienen aus Erdbeeren und Hollergelee kommen als süße Berlakovich’sche Satire an den Tisch. Balance, Witz und der aromatische Nachhall, aber auch der Gedanke, die Gäste zu überraschen, dabei aber nicht zu überfordern, steht in der Aufmerksamkeit der Bemühungen. „Wir haben jeden Abend rund 90 Gäste und da will ich nicht nur zwei Drittel befriedigen. Dazu braucht es einen Spannungsbogen, der eben all diese Punkte bedient.“
Diamantenfieber
Für Gerichte wie „Über Holzkohle gegrillter Stör mit Kohlrabi, Quinoa, Holunder“, „Junge Marchfelder Artischocken mit Gurken-Vielfalt & Blaumohn“ oder „Baumspinat mit Eiszapfen und Ochsenmark“ zieht es Reitbauer in die entlegensten Winkel Österreichs, aber auch gerne ins Niederösterreichische, in die Arche Noah. Eine Art Auffang- und Aufziehstation für Obst- und Gemüseraritäten. Dort deckt er sich auch immer wieder mit neuen Pflanzensamen ein, um die hundert Stück wachsen rund um das Steirereck. Ausgetauscht werden jährlich an die zehn Arten. „Ein paar Geschichten haben wir über Jahre, finden aber keinen Zugang dazu. Aber irgendwann wird’s dann was mit uns beiden. Wie mit der Aleppo-Raute, die finde ich gerade ganz spannend, konnte aber lange Zeit nichts mit ihr anfangen.“
Das Verlangen, sich von kleinen heimischen Mikrobauern mit frischen, saisonalen und vor allem ungewöhnlichen Produkten beliefern zu lassen, hat er schon seit Jahren. Auslöser für sein Interesse an dem ganzheitlichen Produkt und nicht nur am geschmacklichen Endergebnis aber war der Sager eines Lieferanten. Der meinte zu einem seiner Mitarbeiter, dass er sich nicht sicher sei, ihm überhaupt sein Produkt überlassen zu wollen. Denn wenn es auf den Teller kommt, erkenne man es dann sowieso nicht mehr. „Ich bin der Meinung, wir dürfen den Fokus nicht zu stark auf uns legen. Wir sehen nur, was wir als Köche mit dem Produkt machen können, was wir da rausholen können. Aber was bereits ein Jahr im Vorfeld passiert, daran denken wir nicht. Ein Winzer macht sich ewig lange Gedanken über jeden einzelnen Schritt, alles, was passiert, legt er auf die Waagschale. Davon sind wir Köche meilenweit entfernt. Uns ist nur wichtig, dass wir einen Stempel aufdrücken können.“
Deswegen sind ihm auch alle seine Produzenten heilig, er kennt alle und verhandelt persönlich mit ihnen. Allerdings, bei seinen Verhandlungen geht es niemals um den Preis. „Wenn ich ein Produkt haben möchte, das nicht austauschbar ist, dann bestelle ich es. Und frage nie nach dem Preis. Ich finde das beleidigend gegenüber dem Produzenten – und es ist meine Aufgabe, es kostendeckend dem Gast zu verkaufen. Wenn sich herausstellt, dass das Produkt den Preis nicht wert ist, bestelle ich es eben nicht mehr.“ Allerdings reden wir hier noch immer über Kartoffeln, Tomaten und Co. – nicht über Trüffel.
Das Argument vieler seiner Kollegen, dass Kleinproduzenten nicht auf Abruf liefern können, lässt er nicht gelten. „Grundsätzlich davon auszugehen, dass 100 Prozent des Bedarfs immer abgedeckt werden können, ist Blödsinn. Außerdem geht es nicht, dass ich lange nichts bestelle und dann anrufe und sofort große Mengen benötige. Das kann ja nicht funktionieren.“ Reitbauers Philosophie: Er ordert eine Stückzahl, von der er annehmen kann, dass diese trotz Wetterschwankungen oder anderen Einflüssen immer produziert wird, und das konstant.
„Wenn das Produkt aus ist, dann ist es eben aus. Durch die Vielfalt kann ich das auffangen.“ Eine Tatsache, die sich erst über Jahre hinweg entwickelt hat. „Anfangs dachte ich, wie sich das übers Jahr verteilt überhaupt ausgehen kann, immer Neues und Saisonales anzubieten. Heute habe ich das Problem, dass ich so viel Vielfalt habe, dass ich es nicht schaffe, auch nur annähernd alles unterzubringen.“ Das kann man nur als Luxusproblem bezeichnen.
Liebesgrüße aus Moskau
Seit Reitbauer auf den Bestenlisten vertreten ist, kommt seine Klientel vermehrt aus dem Ausland. Eine abfedernde Tatsache in Zeiten, in denen sich die Branche mit einbrechenden Umsatzzahlen herumschlagen muss. Aber auch ein Zufall half durch die weltweite Finanzkrise: die Meierei, ursprünglich rein auf Käse ausgelegt. Als das nicht so ging wie vorgestellt, wurde am Konzept ein wenig geschraubt und herausgekommen ist eine legere, unkomplizierte Küchenlinie – im Angebot blieben dennoch 120 Käsesorten aus aller Herren Länder. „Viele Gäste blieben nicht vom Steirereck weg, sondern gingen einfach ein Stockwerk tiefer.“ Was aber anfangs schwer aus den Köpfen der Mannschaft und der Gäste herauszubekommen war: dass beide Küchen in ihrer Wertigkeit gleich sind. „Oben brauche ich vielleicht ein paar Handgriffe mehr und ein paar Minuten länger für einen Teller, aber ich schenke allen Gerichten die gleiche Aufmerksamkeit.“
Die widmet er auch jedem Einzelnen in seinem Team, das doch aus mehr als 30 Personen besteht. Vor allem bei Querdenkern wird er hellhörig. „Ich will eine Struktur, in der die Jugend auch gehört wird. Ich bin auch nur ein Spieler mit Routine. Ein gemeinsamer ausgedachter Schachzug bringt vielleicht den entscheidenden Vorteil.“ Und James Bond hatte ja auch Q an seiner Seite …
Hier geht’s zu den großartigen Rezepten von Heinz Reitbauer und anderen Starköchen!