Mein größter Fehler: Olivier Nasti
Der Übermütige
Weniger ist mehr – so platt und trivial könnte man die wichtigste Lektion, die das Leben dem Spitzenkoch Olivier Nasti erteilte, auf den Punkt bringen. Mit seinem Gourmettempel La Table d’Olivier Nasti, den er neben der bodenständigeren und rustikaleren Winstub unter dem Dach seines 5-Sterne-Hotels Le Chambard führt, holte der elsässische Leuchtturm der Spitzenkulinarik neben zwei Michelin-Sternen 2007 auch den in Frankreich so prestigeträchtigen Titel Meilleur Ouvrier de France.
Übrigens: Es war in Nastis Hotel, in dem Anthony Bourdain bekanntlich als letztes abstieg, aber das nur am Rande. Jedenfalls: Vielleicht war es Nastis frühe Erfolgsverwöhntheit, die den rastlosen Küchenkapazunder übermütig werden ließ. Nicht mehr ausschließlich Koch wollte er sein, sondern Gastronom, der immer mehr Betriebe, immer schwindelerregendere Umsätze akkumuliert.
Vom Küchenchef zum Gastronomen und wieder zurück – nur um ein Vielfaches besser. Es ist seinem größten Fehler zu verdanken, dass Olivier Nasti mit dem Zweisterner Le Chambard heute zu den kulinarischen Leuchttürmen im Elsass zählt.
„Gemeinsam mit meinem Bruder habe ich in nur zwei Jahren sechs oder sieben Betriebe gekauft“, erinnert sich Nasti. Den Rubel rollen ließen die beiden Brüder für nicht weniger als drei Flammkuchen-Lokale – eines in Kaysersberg, eines in Straßburg und eines in Mulhouse –, eine Bäckerei sowie eine Brasserie in Colmar. „An einem bestimmten Punkt reichte es meinem Bruder – er sprang ab. Aber mich interessierte es einfach nicht, so viele einzelne Standorte und Konzepte selbst zu entwickeln. Deswegen stand für mich fest, dass ich all diese Betriebe wohl oder übel wieder verkaufe.“
Um einen Top-Betrieb auf die Beine zu stellen, muss man sich jahrelang voll und ganz und ausschließlich auf diesen einen Betrieb konzentrieren. Erst dann, und wirklich erst dann, solltest du in Erwägung ziehen, weiter zu expandieren.
Olivier Nastis größter Fehler kam ihm zwar teuer zu stehen, doch diese Lektion war ohne Zweifel Gold wert
Ein Millionenproblem
Das Problem dabei war Nasti natürlich schon damals bewusst: „Wenn man noch in der vollen Investitionsphase von solchen Betrieben ist und bei weitem noch nicht alles amortisiert hat, na ja, dann macht man mit einem Objekt, das man gerade erst erworben hat, eben einfach kein Geld.“ Oder anders gesagt: Man bleibt auf einem großen Teil der Schulden sitzen, die man für so ein waghalsiges Unterfangen aufgenommen hat. Wie hoch die Schulden damals genau waren, daran kann – oder will – sich Nasti nicht mehr erinnern. „Irgendetwas zwischen fünf und zehn Millionen“, so der elsässische Herdmagier.
Gut, für Normalsterbliche klingt das erst einmal nach einem finanziellen Super-GAU. Doch was Nasti mit dieser Entscheidung gewann, war dafür umso wertvoller: Die Einsicht, wie verhängnisvoll es sein kann, sich zu früh zu breit aufstellen zu wollen. Genau das nämlich war sein größter Fehler. „Ich denke“, so Nasti, „um einen Top-Betrieb auf die Beine zu stellen, muss man sich jahrelang voll und ganz und ausschließlich auf diesen einen Betrieb konzentrieren. Zuerst muss einfach dein eigener Betrieb bis aufs kleinste Detail ausgefeilt worden sein. Erst dann, und wirklich erst dann, solltest du in Erwägung ziehen, weiter zu expandieren und dich breiter aufzustellen.“
Gewinnbringender Fokus
Seit Nasti also all seine Flammkuchen-Lokale und die Bäckerei verkauft hat, schießen die Umsatzzahlen im Le Chambard in die Höhe. „Seit dem Verkauf habe ich mich erst so richtig um das Le Chambard kümmern können. Um das Image, die Qualität, das Angebot.“ Dass das alles nicht nur so dahergesagt ist, beweisen die Zahlen.
„Vor dem Verkauf der anderen Betriebe lag der Gesamtumsatz bei 12 Millionen. Nachdem ich alles verkauft hatte, waren es lediglich noch vier Millionen. Heute liegt er bei sechseinhalb Millionen. Das heißt, der Umsatz im Le Chambard ist in nur vier Jahren um über zwei Millionen gestiegen.“
Für Nasti selbst ist die Erklärung dafür naheliegend: Die Fokussierung auf das Le Chambard ließ ihm mehr Raum für seine kulinarische Kreativität und all die anderen Hebel, die man heute als Küchenchef beherrschen muss. „Es kommt aber auch auf all die Feinheiten an“, so Nasti, „die man Restaurants- und Hotelgästen heute in großen Häusern bieten kann. Bietet man die, bedeutet es im Umkehrschluss auch, dass sie mehr ausgeben.“ Weniger ist also mehr, wie gesagt – und vielleicht ist diese ach so abgedroschene Weisheit doch nicht so trivial, wie sie klingt. Zumindest in der Welt der Gastronomie.