Peter Dorelli setzt den Drinks die Krone auf
In einer Branche, die dafür berühmt-berüchtigt ist, ihren langjährigen Mitstreitern körperlich und seelisch alles abzuverlangen, scheint die Ausnahmeerscheinung Peter Dorelli dabei bemerkenswert resistent gegen diese Arbeitsrisiken zu sein. Er beschreibt sich selbst als den letzten Dinosaurier seiner Zunft. Doch wer Dorelli kennt, merkt schnell, dieser Mann wird buchstäblich im Alter jünger, und nicht eben älter. Aber zu erzählen hat er freilich viele alte Geschichten. Dazu später mehr.
In einer Branche, die dafür berühmt-berüchtigt ist, ihren langjährigen Mitstreitern körperlich und seelisch alles abzuverlangen, scheint die Ausnahmeerscheinung Peter Dorelli dabei bemerkenswert resistent gegen diese Arbeitsrisiken zu sein. Er beschreibt sich selbst als den letzten Dinosaurier seiner Zunft. Doch wer Dorelli kennt, merkt schnell, dieser Mann wird buchstäblich im Alter jünger, und nicht eben älter. Aber zu erzählen hat er freilich viele alte Geschichten. Dazu später mehr.
Raus aus Rom
Los ging es 1940. In diesem Jahr verließ der gebürtige Römer seine Heimat Richtung England, wo er seine schillernde Karriere im zarten Alter von 18 Jahren startete. Los ging’s als sprunghafter Bartender, der durch unzählige Bars tingelte, bis er sich schließlich 1963 der legendären Savoy Group anschloss. Als Head Barman in der Pebble Bar im Stones Chop House wurde der charmante Italiener zum Trendsetter unter den Mixologen. Als Barchef in der American Bar im einzigartigen Savoy Flagship selbst servierte er dann gar der königlichen Familie flüssiges Glück in Drinkform. Wirklich ungewöhnlich für diese Branche: Dort ging Dorelli 2003 im Alter von 63 Jahren auch in den Ruhestand. Zumindest mehr oder weniger.
Viel Alkohol für wenig Geld.
Peter Dorelli über das Bar-Motto der 1980er
Ewige Inspirationsquelle
Wobei eben die Wörter Ruhe und Stand im Repertoire des Italo-Mixers eigentlich nicht vorkommen. Mit über 80 ist Dorelli immer noch Inspirationsquelle für viele junge Barkeeper und gibt in Trainings und Masterclasses sein unfassbares Fachwissen auch heute noch ohne zu zögern weiter. Ein echter Idealist eben, der, wo immer es ihm möglich ist, die Barszene unterstützt. Nur hinter dem Tresen will er heute nicht mehr stehen. Doch seine hochdekorierte Vitrine mit Auszeichnungen kann sich nach wie vor sehen lassen: Bar Awards, MSS Europa Cocktail Champion, Flavour Bar Awards, um nur einige von vielen zu nennen. Kein Wunder also, dass seine heiligen Cocktailbibeln allesamt zu Bestsellern wurden und Dorelli sämtliche Barbühnen dieser Welt rockte – oder nach wie vor rockt.
Der selbsternannte Dinosaurier sagt von sich, er habe alles an Bars gesehen, was zu sehen wert ist. Und alles an Drinks getrunken, was an Gutem im Glas landen kann. Wenig verwunderlich lautet darum auch sein Fazit zu aktuellen Trends der Szene: „Es war alles schon einmal da. Es ist wie ein Kreislauf, der sich ständig wiederholt.“ Selbst der brandaktuelle Wellnesshype ist für den Grandseigneur ein alter Hut: „Warum denken Sie, dass ich heute noch da bin? Natürlich habe ich auch irgendwann angefangen, darüber nachzudenken, was meinem Körper gut tut und was nicht. Dass nächtelange Bartouren und das Rauchen sich irgendwann rächen, ist klar. Da musst du anfangen etwas zu ändern“, so Dorelli.
… und dann kamen die Kinder
Spätestens mit der Geburt seiner Kinder wurde aus dem Partytiger quasi ein buddhistischer Mönch. Vielleicht nicht ganz so krass, aber in Relation gesetzt schon irgendwie. Dorelli adaptierte jedenfalls seinen Lifestyle – und serviert somit heute noch Lebensweisheiten: „Wir arbeiten unser ganzes Leben lang unzählige Stunden täglich. Es ist immens wichtig, sich auch anderen Dingen zu widmem, sonst brennt man einfach aus. Davor bleibt niemand verschont“, warnt der Barmeister. Dorelli selbst zelebriert diese Weisheit im Übrigen als begeisterter Golfspieler.
Käufliche Liebe
Das große Erfolgsgeheimnis von Legende Peter Dorelli ist schnell erklärt: Authentisch und selbstbestimmt durchs Leben gehen. „Ich hab immer mein eigenes Ding gemacht. Das ist etwas, was junge Leute heute so nicht mehr machen. Ich war leidenschaftlich, neugierig, aber eben auch demütig gegenüber Klassikern der Bar.“ Viel zu oft würden altehrwürdige Drinks verschandelt. Dorelli grantig: „Gottverdammt, wenn ich einen Negroni bestelle, dann brauche ich nicht die Persönlichkeit des Barkeepers zu trinken. Dann soll er einen eigenen Cocktail kreieren und gefälligst die Finger vom Original lassen.“
Wenn es um Gäste geht, versteht Dorelli ebensowenig Spaß. „In einem Haus wie dem Savoy zahlt der Gast 800 Pfund pro Nacht. Wenn er in deine Bar kommt, willst du den Typen nicht verärgern. Da spielt jedes noch so kleine Detail eine Rolle. Die Cocktails müssen selbstredend perfekt sein und am wichtigsten: das Wort ,Nein‘ existiert dann nicht.“ Als er noch mitmischte, verstand es Dorelli, seine Gäste mit fulminanten Drinks wie seiner „Elise“ zu verzücken. Vor allem aber war und ist er ein charmantes Chamäleon, das die Stimmung der Menschen perfekt lesen kann. „Diese psychologische Seite eines Barkeepers ist genauso wichtig wie die Skills am Tresen“, bringt der Großmeister seine Philosophie auf den Punkt. Dass man seine Kunden in einer Megametropole wie London, gespickt mit Sehenswürdigkeiten, immer wieder mit Geheimtipps überraschen muss, gehört für ihn genauso zum Skillset eines Barkeepers.
Zeit im Glas
Generell plaudert der Wahlbrite gerne aus dem Nähkästchen:„In den 1950er-Jahren waren die Cocktails sehr, sehr trocken. Die Leute waren damals, ähnlich wie heute, sehr bewusst im Umgang mit ihrer Gesundheit. Nach dem Zweiten Weltkrieg konnten sich die meisten Menschen nur notwendige Lebensmittel leisten. Viele waren sehr mager und wenn sie Geld für Food oder Drinks ausgegeben haben, wollten sie auch etwas dafür bekommen.“ In den 1960er-Jahren habe sich dann plötzlich alles geändert. Die Leute wollten auf einmal wilde, süße und bunte Drinks. „Es war fast so, als hätte man Löwen aus ihrem Käfig gelassen. Sie wollten alles ausprobieren und der Fantasie waren keine Grenzen gesetzt.“ Für Dorelli das eigentliche Ende der Nachkriegszeit.
Bitte nur kein Swimmingpool
Die 1970er beschreibt die Barlegende als erneuten Rückschritt. Der Grund: die Finanzkrise. Wieder regierten am Tresen endlos trockene Klassiker wie der Martini. „Diese Drinks waren alle sehr stark und hatten kein Gemüse als Dekoration. Es ging darum, den meisten Alkohol für wenig Geld zu bekommen.“ Die 1980er aber sind Dorellis persönliche Schreckenszeit. Die Drinks wurden wieder süßer und der Stil ging ein wenig verloren. Schrille Drinks wie Batida de Coco oder der legendäre Swimmingpool dominierten, waren aber nicht gerade der Geschmack des Bartenders von Königs Gnaden. „Da sieht man, dass die ganze Welt ein Kreislauf ist. Alles, was heute en vogue ist, gab es schon irgendwann.“ Das mag für Drinks und andere Modeerscheinungen wohl stimmen. Doch eines bleibt Gewissheit: Peter Dorelli ist und bleibt ein Unikat.
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PETER DORELLI
Mit 18 Jahren übersiedelte der gebürtige Römer von Italien nach England und jobbte sich auf der Insel als Barkeeper durch. Schnell erarbeitete sich der Ausnahmemixologe einen Namen im Land und wurde Mitglied in der einzigartigen Savoy-Gruppe. Mit Cocktails wie seiner unverwechselbaren Elise erlangte Dorelli Kultstatus und galt als einzigartige Inspirationsquelle sowie Tresen-Trendsetter. 2003 tauschte er den Mixer gegen die Bühne und gibt seither sein unfassbares Fachwissen an die nächste Generation weiter.