Rasmus Kofoed: Plötzlich Grasmus!
Diesem Rasmus Kofoed gelingt irgendwie alles. Immer. Und bei genauerem Hinsehen wird schnell klar: Sein Erfolgsrezept besteht aus eiserner Disziplin, starkem Willen und unbeugsamem Durchhaltevermögen, mit einer Prise Leichtigkeit.
Diesem Rasmus Kofoed gelingt irgendwie alles. Immer. Und bei genauerem Hinsehen wird schnell klar: Sein Erfolgsrezept besteht aus eiserner Disziplin, starkem Willen und unbeugsamem Durchhaltevermögen, mit einer Prise Leichtigkeit.
Der Däne rangiert mit seinem Restaurant Geranium aktuell auf Platz zwei der Liste der 50 Best Restaurants. Bekannterweise steigen seit einiger Zeit Lokale wie die Osteria Francescana von Massimo Bottura oder El Celler de Can Roca der Roca Brüder in den Gastro-Olymp auf, in die Liste der Legenden. Das heißt, der Platz der 50 Best wird jedes Jahr neu besetzt. Aktuell führt Kofoeds Landsmann René Redzepi mit dem Noma die viel zitierte Liste an. Er wird heuer bei der Verleihung im Juli in den Olymp gerufen. Stellt sich die Frage: Wird aus der aktuellen Nummer zwei gar die Nummer eins?
Es geht nicht um gesundes Essen. Es geht darum, dass gesund glücklich macht. Rasmus Kofoed über seine pflanzliche Motivation
Zufall gibt‘s keinen
Ein Gedanke, den Rasmus Kofoed bestimmt schon zu hoffen gewagt hat. Und weil er eben kein Mann ist, der Dinge jemals dem Zufall überlassen hat, hat er seinem Menü, das ohnehin schon zu den akkuratesten und detailgetreuesten auf dem Globus zählt, noch ein zusätzliches Schäuflein Perfektion angedeihen lassen. Gerichte wie „Osietra Kaviar Gold mit leicht geräucherten Sonnenblumenkernen und eingelegten Walnussblättern“ oder „Jakobsmuschel mit getrockneter schwarzer Johannisbeere, zitrusinfiltrierten Kräutern und Jakobsmuscheln-Emulsion“ sind so schön, dass man sie beinahe lieber einrahmen als essen möchte.
Wie viele Stunden es dauert, das exakte Abbild einer Venusmuschel, bestehend aus warmem Kartoffelkuchen, Muskat und Joghurt, aus den Formen zu fieseln? Wahrscheinlich mehrere dutzend Spielhälften. Das Restaurant im Komplex des Fußballstadions am „Telia Park“ in Kopenhagen ist aufpoliert und gestriegelt, umgebaut nach modernsten Maßstäben. Es erstrahlt in Gewinnermanier, bereit, ein würdiges bestes Restaurant der Welt abzugeben.
Keine besten Freunde
Doch auch optisch hat der Däne nachgewürzt: Die Farben wurden heller, an den Wänden rankt allerlei gezeichnetes dänisches Gewächs empor. Die hohen Kochmützen, die Kofoed und Team als stolze Bocuse d’Or-Gewinner noch vor der Pandemie täglich zum Service trugen, sind offenbar im Kämmerchen verstaut. Nun arbeiten im Geranium flotte in dunklen, schlichten Uniformen oder weißen Kochjacken gekleidete, dynamische, freundliche Menschen. Sie schenken Weinklassiker aus, aber von den guten. Dazu servieren Kofoed und Team hingegen nicht Klassisches, sondern Perfektes. So wie das Konglomerat aus „Kaltem Gurkensaft, geräucherten Schnecken-Eiern und Gartenpetersilie“, das schöner nicht anzusehen, in der Auswahl der Zutaten nicht überlegter sein könnte.
Ja, alles sieht danach aus, als wolle der 47-Jährige es jetzt endlich wirklich wissen. Dass er kein Anhänger der nordischen Bewegung und seines Regional-Radius’ ist sowie dass Kofoed und Redzepi, auch wenn in der selben Stadt tätig, keineswegs im Schulterschluss arbeiten, ist bekannt. Kofoed will wissen: Kann eine Küche wie seine, mit Gerichten wie „Steinbutt und Kaisergranat mit Pinienkernen und Estragon“, wirklich zur besten Küche der Welt gewählt werden?
Irgendwann ist aus dem Kochen mit meiner Mutter meine Profession und meine Art, mich kreativ auszudrücken, geworden.
Rasmus Kofoed über seine Koch-Biografie
Eine Auszeichnung, nach der man in den Olymp der besten Köche aller Zeiten aufsteigt, volle Reservierungsbücher für Dekaden so gut wie garantiert sind. Die „Dunkle Schokolade und Jerusalem-Artischocken- Reduktion“ sowie „Gefrorener Himbeersaft und milde Lakritze“ sagen jedenfalls schon heute charmant „Ja!“.
Zwei Gesichter
Doch Rasmus Kofoed hat noch eine andere Seite. Wegen dieser hat er uns eigentlich nach Kopenhagen zum Taste and Talk gebeten. Ort des Geschehens: Wieder das Oberstübchen des Telia Parken Stadions. Kofoed lächelt sein schüchternes Lächeln. In seinem schwarzen Batik-T-Shirt sind die durchtrainierten Unterarme und die Lederbändchen am Handgelenk gut zu sehen (im Geranium verschwindet derartiger Körperschmuck stets unter der seriösen Kochjacke). Auch Søren Ledet, der Geschäftspartner und Gastgeber, zeigt plötzlich Tattoo. Auch wenn der Dresscode plötzlich anders ist – die Mannschaft ist dieselbe wie im Nummer-eins-Anwärter-Restaurant. Allein, der für das neue Vorhaben vorgesehene Gastraum macht neugierig: bunte Pastelltöne und Holz regieren. Keine Tischdecken, ein paar Wiesenblumen.
Plötzlich wird die Welt grün
Das, was jetzt kommt, ist Rasmus Kofoeds Vorstellung von „plant based“, sprich veganer Küche. Unprätentios, so weit das mit einer Mannschaft in einem der besten Drei-Sterne-Restaurants der Welt möglich ist, und supergut. „Sellerie in Tempura mit Trüffel und Pilzen“ zergeht auf der Zunge. Dazu ein sagenhaft frischer „Birnen-Sellerie- und Salbei-Saft“. Gleich darauf das nächste Spektakel aus „Kartoffeln und Kraut mit eingelegten Zwiebeln und Petersilie. So einfach. So genial. Der Hunger weicht, aber der Bauch wird nicht voll, der Körper nicht schwer. Niemals lassen die Gerichte an diesem Vormittag auch nur den Wunsch nach Fleisch, Fisch oder Milchprodukten aufkommen. Alles da, Säure, Balance, Schärfe, Abgang, Sättigung, Glücksgefühl.
Das zufriedene Durchatmen, das sich einstellt, wenn Geist und Körper merken, dass sie gerade auf eine der bestmöglichen Arten der Welt befriedigt werden. Weiter geht es mit „Rote-Bete-Rind“, serviert mit Kren, Kapern und Kresse. Nach „Roten Linsen mit Tomate, Erdbeere und Thymian“ sowie „Kamillenund Schokoladeneiscreme“ sind neun Gänge an grandiosem veganen Essen vorbei. „Viele Jahre lang habe ich davon geträumt, ein vegetarisches Restaurant zu eröffnen. Meine Mutter ist Vegetarierin, und seit ich ein kleiner Junge war, hat sie mir beigebracht, wie nahrhaft und lecker pflanzliches Essen sein kann“, sagt der Meisterhandwerker.
Deshalb ist das neue Konzept – vorerst als Pop-up gedacht – auch nach seiner Mutter benannt: Angelika. Eine Hommage. Aber auch ein Teil Rasmus, wie er betont. Kofoed sagt, er sei sowohl Geranium als auch Angelika, selbst wenn es zumindest den Eindruck macht, dass er im Angelika gerade einen Tick mehr Spaß hat. „Früher habe ich immer mit meiner Mutter gekocht, irgendwann wurde es dann zu einer kreativen Profession.“ Kurz: Hier geht es
um Kindheitserinnerungen. Darum, dass gutes, gesundes Essen Spaß macht und gut schmeckt. Er sagt: „Ich möchte niemanden zu gesundem Essen bekehren, aber ich möchte zeigen, dass saisonales Gemüse-Food glücklich machen kann.“ Und das kann es hier im Angelika jedenfalls – gwiss auch dank ausgefeiltester Drei-Sterne-Techniken.
Gegenseitige Befruchtung
Während diese im neuen Konzept eindrucksvoll zur Geltung kommen, färbt wiederum das neue Konzept aufs renommierte ab: Auch im Geranium wird plötzlich erstaunlich wenig Tierisches serviert. Auch das sei eben er, sagt Kofoed. Er koche immer, was er selbst gerade am liebsten esse. Wie sehr man ihm das nun glaubt oder nicht, sei dahingestellt. Dass er nicht nur ein Meister seines Fachs ist, sondern auch einer, der genau weiß, wie Spiele zu spielen sind, ist allerdings garantiert. Apropos Sport: Beim Laufen würden dem Dänen übrigens oft die besten Gerichte in den Sinn kommen, sagt er. Die Pflanzen, die Vegetation, an der er vorbeiläuft, würden ihn inspirieren.
Das große Titelfinale
Dass jemand, der (auch wenn er es nicht zugibt) an die Spitze der 50 Best klettern möchte, und zwar 2022, just jetzt ein derartiges Pop-up launcht, mag Zufall sein. Dass es mit der Umstellung auf vegan des Daniel Humm in dessen Eleven Madison in New York zu tun hat, gewiss bloß eine vage Vermutung, Es ist im Grunde auch egal – denn bei der Perfektion, die Rasmus Kofoed nun sowohl im Geranium als auch im Angelika auf den Teller bringt, wäre der begehrte Titel jedenfalls gerechtfertigt. Im Juli, nach der Verleihung der „S. Pellegrino 50 Best Restaurants“, werden wir es jedenfalls wissen. Und er auch.
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RASMUS KOFOED
Der 47-jährige Rasmus Kofoed absolviert seine Ausbildung zum Koch im Kopenhagener Hotel d’Angleterre. Als Küchenchef im Krogs Fiskerestaurant lernt er seinen heutigen Geschäftspartner des Geraniums, Søren Ledet, kennen. 2005 nimmt der Däne das erste Mal am Kochwettbewerb Bocuse d’Or teil. Damals holte er Bronze. 2007 eröffnet er mit Ledet das erste Geranium im Kongens Have und belegt den zweiten Platz beim Bocuse d’Or. 2010 eröffnen die beiden das Geranium am heutigen Standort. Bei der Teilnahme am Bocuse d’Or im Jahr 2011 holt Kofoed den Sieg nach Kopenhagen. Das Geranium hält seit 2016 drei Sterne des Guide Michelin und liegt auf Platz zwei der Liste der 50 Best Restaurants.