Vladimir Mukhin: Der moderne Traditionalist

Vladimir Mukhin hat das kulinarische Russland aus dem Winterschlaf wachgeküsst. Bei den CHEFDAYS demonstrierte er, wie seine Heimat schmeckt.
Juni 9, 2016 | Text: Georg Hoffelner | Fotos: Monika Reiter, Grogory Polyakovsky, beigestellt

Vladimir Mukhin @White Rabbit

Aus Mütterchen Russland wird ein heißer Feger

Das Unmögliche zu schaffen, gelingt einem nur, wenn man es für möglich befindet. Schrieb richtigerweise Lewis Carroll in „Alice im Wunderland“. Und mit Vladimir Mukhin hat sich der aktuell führende Vertreter der New Russian Cuisine das Werk des englischen Kultautors anscheinend ziemlich zu Herzen genommen. Denn nicht nur, dass Mukhin derzeit der bekannteste und erfolgreichste Koch Russlands ist, nein, durch seine innovative Art, Tradition in die Jetztzeit zu katapultieren, ebnet er gerade den Weg zu einer neuen Geschmacksrevolution.

Aus Mütterchen Russland wird ein heißer Feger

Das Unmögliche zu schaffen, gelingt einem nur, wenn man es für möglich befindet. Schrieb richtigerweise Lewis Carroll in „Alice im Wunderland“. Und mit Vladimir Mukhin hat sich der aktuell führende Vertreter der New Russian Cuisine das Werk des englischen Kultautors anscheinend ziemlich zu Herzen genommen. Denn nicht nur, dass Mukhin derzeit der bekannteste und erfolgreichste Koch Russlands ist, nein, durch seine innovative Art, Tradition in die Jetztzeit zu katapultieren, ebnet er gerade den Weg zu einer neuen Geschmacksrevolution.

Diese startet die Nummer 23 auf der „The World’s 50 Best Restaurants“-Liste (Stand 2015) gerade aus ihrem Res­taurant White Rabbit, das, wie könnte es anders sein, tatsächlich an Lewis Carrolls Roman angelehnt ist. „Das Restaurant ist im Stil von ,Alice im Wunderland‘ eingerichtet, weil es viel um Natur geht“, veranschaulicht der Spitzenkoch gleich zu Beginn seiner CHEFDAYS-Präsentation sein Credo.

Wenn man in sein Restaurant möchte, muss man erst einmal drei Aufzüge nehmen. Das ist ein bisschen wie in einem Labyrinth. Zudem hat Mukhin ein gastronomisches Theater geschaffen, in dem sein Team an manchen Tagen im Monat für eine gewisse Anzahl an Gästen Cocktails mit speziellem Essen serviert.
Ich versuche, mit jedem Gast einen gegenseitig bereichernden  Dialog zu führen.
Vladimir Mukhin über den Drang, sich stets weiterzuentwickeln

Vladimir Mukhin revolutioniert die russische Küche

Dabei wird der talentierte Koch jedoch nicht müde zu betonen: „Es geht vielen Köchen heute um Fortschritt und Innovationen in der Küche. Für mich bedeutet Innovation jedoch keinen technologischen Fortschritt, sondern sich wieder an der nationalen Identität zu orientieren.“ Das ist laut Mukhin die Zukunft der High Cuisine.

Seine kulinarischen Performances machen Foodies mit dem typischen Geschmack ursprünglicher und unbekannter Produkte seines Landes vertraut. Er vereint diese mit modernen Zubereitungsmethoden in völlig unerwartet komponierten Gerichten. Jedoch zeigt er sich in puncto Fortschritt auch durchaus kritisch: „Gewisse technologische Errungenschaften waren bestimmt wichtig und bahnbrechend. Sie haben aber dazu geführt, dass die Teller der Fine-Dining-Restaurants rund um den Globus ziemlich gleich aussehen.“

Küchenchef des White White Rabbit Vladimir Mukhin
Die gleichen Produkte, die gleichen Techniken. Es sei laut Mukhin jetzt endlich wieder an der Zeit, die Personality des Chefs auf den Teller zu bringen, seine kulturelle DNA.

Internationaler Durchstarter

Mit seinen grandiosen Gerichten hat er bereits jetzt mit 33 Jahren Kultstatus erreicht. Signature Dishes wie seine „Minikohlrouladen mit Kaninchen in Foie gras mit Kartoffelchips und Trüffeljus“ verschafften ihm ebenso internationale Anerkennung wie seine Variante des klassisch-russischen Gerichts Bœuf Stroganoff. Mukhin adaptierte es statt mit Rindfleisch neu mit der in Europa bis dato unbekannten Rapa-Wellhornschnecke aus dem Schwarzen Meer. Dazu serviert er gebackene Pastinaken und Krustenchips vom Hängebauchschwein.

White White Rabbit liegt auf Platz 23 der World’s 50 best Restaurants (Stand 2015)

Mukhin interpretiert die kulinarische Historie Russlands stets auf seine ganz persönliche Weise in überraschenden Gerichten.  Inspirieren lässt er sich dabei von allem, was die traditionelle russische Küche so einzigartig macht. Er spürt lokale, weithin unbekannte Produkte und Rezepte auf, kombiniert ursprüngliche mit modernsten Kochtechniken und vereint Zutaten auf möglichst unkonventionelle Art und Weise: „Ich reise zurzeit unglaublich viel, koche mit vielen anderen Köchen, wo wir nicht nur Altes bewahren, sondern auch Systeme niederreißen und Grenzen sprengen wollen.“
Technologie hat dazu geführt, dass Teller rund um den Globus gleich aussehen.
Vladimir Mukhins Kritik am System

Sein Ziel ist klar und eindeutig definiert: Er will Russlands Küche wieder populär machen. „Jedes Mal wenn uns also ein Gast besucht, versuche ich ins Gespräch zu kommen. Einen Dialog zu führen. Und während der Gast isst, versteht er unsere Küche natürlich um so mehr. Das ist mir sehr wichtig.“
Sein primäres Anliegen ist, dass russische Küche nach Russland schmeckt. Dafür hat er auch das White Rabbit Lab gegründet, wo neue Techniken ausprobiert werden und dem Geschmack Russlands auf den Grund gegangen wird. Wenn das Ergebnis so ist, wie es sich Mukhin vorstellt, kommt das Gericht auf die Karte.

In Mukhins Adern fließt Borschtsch, wie er selbst immer wieder behauptet. So wird die Liebe zum russischen Produkt schnell klar. Mukhin verkörpert aktuell wie kaum ein anderer den neuen Typ der russischen Köche. Weltoffen, gut ausgebildet und mit jeder modernen Kochtechnik auf Augenhöhe.

Karriere durch Tradition

Mukhin ist die fünfte Generation einer Köchedynastie. Mit zwölf fing er an, unter seinem Vater in der Küche zu jobben. Dann trat er in die Garde des hochgeachteten Alexander Filin im Restaurant Roter Platz ein. Eröffnete später hie und da ein paar Restaurants, tingelte durch Frankreich und trainierte in Spanien. Unter anderem im El Cellar de Can Roca. Seit 2012 ist er Chef des White Rabbit. Und das ist seitdem sein Wunderland.

Eigentümer des White Rabbit ist Boris Zarkov. Der russische Entrepreneur hat zudem die White Rabbit Family ins Leben gerufen, eine Foundation, die mittlerweile aus zehn Restaurants in Moskau und sechs in Sotchi besteht. Mukhin fungiert bei der White Rabbit Family als Brand Chef und ist für neue Konzepte sowie Qualitätskontrolle zuständig. Dafür reist er nach wie vor sehr viel durch ganz Russland, um sich alte Techniken anzueignen und diese auch zu verstehen.

So ist er etwa auch auf sein Gericht „Die scharlachrote Blume mit Apfel, Honig und Schwarzem Rettich“ gekommen, das er bei den CHEFDAYS so erklärte: „Jede Oma bei uns in Russland hat für ihre Enkelkinder Schwarzen Rettich mit Honig gekocht. So eine Kombination riecht ganz einfach fantastisch. Unvergesslich.“

Die scharlachrote Blume mit Apfel, Honig und Schwarzem Rettich

Für diese Kreation höhlt er einen Schwarzen Rettich aus, gibt ein bis zwei Teelöffel Honig dazu und lässt ihn drei Tage lang durchziehen. Die Basis für dieses spezielle Gericht ist ein Apfelpüree, wo letztendlich der Schwarze-Rettich-Honig dazukommt. Diese Mischung wird dann in eine Begonienblüte gefüllt, die dem Ganzen noch den nötigen Säurekick verleiht und somit eines der spannenden ersten Amuse-Gueules im White Rabbit darstellt.

„Es ist sehr wichtig, sich an solchen kulinarischen Flashbacks zu orientieren“, meint Mukhin. Ein vermeintlich einfaches Gericht, das aber der Philosophie des russischen Vordenkers folgt: „Ich brauche eigentlich kaum mehr als drei Zutaten, um eine gute Balance in meinen Gerichten zu haben.“
Auch das zweite Gericht, das Mukhin bei den CHEFDAYS präsentierte, hat unmittelbar mit der kulinarischen Tradition Russlands zu tun. Durch den euroasiatischen Mix in Russland haben sich spannende Kochmethoden entwickelt. So wird Brot in manchen Regionen auch gedämpft. Wie beim chinesischen Bao. „Auch ich koche unser Brot über Dampf und nehme dann aber nur die Haut des Brotes“, schildert Mukhin.

Das Brot selbst setzt sich dabei aus sehr spannenden Komponenten zusammen. „Wir wässern etwa den Weizen für zwei Tage im Fluss, dann wird er getrocknet und gemahlen.“ Dabei wird alles vom Weizenkorn verwendet. Das Ganze schmeckt natürlich extrem spannend. Für dieses Gericht wird die Brothaut noch mit Petersilienwurzel, gesmoktem Sauerrahm aus der iSi-Flasche und geräuchertem fermentierten Lachs drapiert.
Der Fisch wurde dafür zuerst sautiert, dann fermentiert um ihn haltbar zu machen. Ebenfalls eine jahrhundertealte russische Tradition. Von diesem fermentierten Lachs wird dann ein grobes Pulver abgerieben und über den Sauerrahm platziert. Dazu serviert Mukhin auch einen speziellen Drink: „Food-Pairing ist natürlich auch in Russland gerade ein großes Thema und daher haben wir uns dazu etwas Spezielles überlegt.“

Es ist ein sogenanntes Vodica. Dafür nimmt er den Saft von Früchten und mixt Vodka dazu. In diesem Fall Karottensaft, Rosmarin und Vodka. Das Ganze kommt dann für drei Wochen in den Kühlschrank und wird zum Gericht serviert.

Brot ohne Mehl

Spannend ist auch, das Mukhin kein Mehl für eine seiner selbst gebackenen Brotvarianten verwendet: „Das ist höchstwahrscheinlich das Brot für die Zukunft. Unser Brot aus Baumrinde.“ Aus der Birke, um genau zu sein.
Das White-Rabbit-Team verwendet generell gerne Produkte von der Birke, unter anderem auch den Birkensaft. Für das Brot wird die Birkenrinde im Frühjahr gesammelt, getrocknet, daraus wird ein Pulver hergestellt und letztendlich das Brot daraus gebacken. Es riecht herrlich nach Birke und Mukhin serviert es mit einer Heringterrine und Hase. Das Ganze heißt Forshmak und ist ein sehr beliebtes jüdisches Gericht.

Die russische Variante stammt aber eher aus Dänemark: „Ich musste sehr viel über russisches Essen lernen. Wir haben eine lange Geschichte“, erklärt der Küchenchef seinen Wissensdrang.
In der Sowjetunion gab es fast kein russisches Essen. Der auf die Revolution von 1917 folgende Bürgerkrieg und Stalins Zwangskollektivierungs- und Umsiedlungspolitik hatten eine noch stärkere Vermischung der Siedlungsgebiete der unterschiedlichen Nationalitäten der Sowjetunion zur Folge. In den Fabriken und Betrieben setzte sich die Gemeinschaftsverpflegung durch. Die genossenschaftliche Speiseproduktion verdrängte teilweise die häusliche Küche.

Die Küche ist aber extrem vielfältig, und das Land so reich an tollen Produkten. Mukhin will deshalb mit seinem Essen vor allem durch Erinnerungen an die Kindheit Emotionen hervorrufen: „Ich esse beispielsweise einen geräucherten Fisch und erinnere mich sofort daran, wie ich als Kind bei meiner Großmutter in der Küche gesessen bin.“
Vor vielen Hundert Jahren konnte kaum jemand schreiben oder lesen. Aber man konnte kochen. Das war die ehrliche und traditionelle Küche Russlands. Und diese Küche will er mit seinen Gerichten wiederbeleben.

Die Gerichte von Vladimir Mukhin sind außergewöhnlich

Wie etwa durch eine der populärsten russischen Suppen, die er auch bei seiner CHEFDAYS-Performance vorstellte: Schtschi, eine Kohlsuppe. Diese wird klassisch mit fermentiertem Kohl, etwas Fisch-, Kalbs- oder Hasenfond über Nacht zu einem Eintopf verkocht und gleich in der Früh gegessen.
Der Grund: „Meist hatten wir zu viel getrunken und es war perfekt für den Hangover.“ Bei seiner Variante verwendet Mukhin für die Textur Gurken sowie ein geliertes Destillat einer bereits gekochten Kohlsuppe. Weiters kommt noch etwas geräucherter Hering hinein, getrocknete Tomaten, auch etwas Frühlingszwiebel und dazu gibt es noch ein Smørrebrød aus King Crab. Das Ganze wird unter einer Kuppel serviert und vor dem Gast mit einem Fond aufgegossen.

„Wir haben dafür auch ein Parfum aus Sellerie hergestellt, das nur aus ätherischen Ölen und Wasser besteht“, zeigt sich Mukhin stolz. Dieses Parfum wird aus einem stylishen Fläschchen noch vor dem Gast auf den Teller gesprüht. „Wenn man seine Augen schließt und diese Suppe isst, schmeckt man meiner Meinung nach das typische Aroma Russlands.“
Der Antrieb des smarten Küchenchefs sind zum einen lokale Produkte, die im Ausland oftmals unbekannt sind, und zum anderen traditionelle russische Kochtechniken: Langsamgaren im Ofen, Trocknen von Fisch, Einsalzen und Einweichen.

„Die russische Küche entwickelt sich unentwegt weiter, und sie ist bereit für neue Ideen“, philosophiert er. Sein Essen muss deshalb stets modern und neu aussehen, vor allem aber überraschen. Die Zutaten sollen aber immer traditionell sein.
Zu Vladimir Mukhins Rezept Scharlachrote Blume mit Apfel, Honig und Schwarzem Rettich geht es hier!
www.whiterabbitmoscow.ru

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