Warum Fabian Günzel im Restaurant Aend auf alle Regeln pfeift

Shootingstar Fabian Günzel zelebriert in seinem Restaurant Aend in Wien die Rebellion gegen eingefahrene Küchendogmen, und das nicht immer leise. Warum er sich dem kulinarischen Minimalismus verschrieben hat und Wien eine glänzende Gastro-Zukunft prophezeit.
August 2, 2019 | Text: Sarah Helmanseder | Fotos: Raphael Gebauer, Gerhard Wasserbauer, Restaurant Aend

Wenn Fabian Günzel seine „cholerischen fünf Minuten“ hat, sollte man tunlichst das Weite suchen. „Dann werde ich wie ein Maschinengewehr und kann nicht mehr aufhören“, gibt der temperamentvolle Haubenkoch freimütig zu. Der Sohn eines Grenzsoldaten der ehemaligen DDR-Armee ist mit militärischem Drill aufgewachsen und hat sich mit ebensolcher Disziplin ganz nach oben gekocht. Er ist Hitzkopf und Düsenjet, gleichzeitig Denker, sorgsamer Geschäftsmann – und seit Februar 2018 erfolgreicher Gastronom.
In seinem Restaurant Aend im sechsten Wiener Gemeindebezirk kratzt er den alten Lack von der Spitzenküche. Es ist von oben bis unten custom-made, mit offener Küche, straight und stylish. „Man braucht halt auch die Eier in der Hose, um das zu machen. Man muss sich wirklich Zeit nehmen und überlegen, was möchte ich sein, wo möchte ich hin – einen ganz klassischen Businessplan ausarbeiten“, spricht die deutsche Gründlichkeit aus dem 34-Jährigen.
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Wenn Fabian Günzel seine „cholerischen fünf Minuten“ hat, sollte man tunlichst das Weite suchen. „Dann werde ich wie ein Maschinengewehr und kann nicht mehr aufhören“, gibt der temperamentvolle Haubenkoch freimütig zu. Der Sohn eines Grenzsoldaten der ehemaligen DDR-Armee ist mit militärischem Drill aufgewachsen und hat sich mit ebensolcher Disziplin ganz nach oben gekocht. Er ist Hitzkopf und Düsenjet, gleichzeitig Denker, sorgsamer Geschäftsmann – und seit Februar 2018 erfolgreicher Gastronom.
In seinem Restaurant Aend im sechsten Wiener Gemeindebezirk kratzt er den alten Lack von der Spitzenküche. Es ist von oben bis unten custom-made, mit offener Küche, straight und stylish. „Man braucht halt auch die Eier in der Hose, um das zu machen. Man muss sich wirklich Zeit nehmen und überlegen, was möchte ich sein, wo möchte ich hin – einen ganz klassischen Businessplan ausarbeiten“, spricht die deutsche Gründlichkeit aus dem 34-Jährigen.
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Der Schein trügt: Starkoch Fabian Günzel sieht aus wie ein Sonnyboy, aber wenn sein Temperament mit ihm durchgeht, kann er die Küchenbrigade das Fürchten lehren. Als Neo-Gastronom übt er sich nun darin, Contenance zu bewahren, und stellt in Stein gemeißelte Dogmen der Spitzenküche auf den Kopf.
Er will den Bruch mit Dogmen und Konventionen, die Abkehr von hochkomplexen Gerichten mit einer Unzahl winziger Komponenten, um die Küche für den Gast wieder greifbar zu machen: „Jemand, der nicht mit der Gastronomie zu tun hat, beurteilt einen Teller ganz anders als wir Köche, aber im Endeffekt koche ich nicht für Köche, Auszeichnungen oder mein Ego, sondern ich koche nur, damit Leute in entspannter Atmosphäre gut essen können, und die interessiert der ganze Firlefanz nicht, sondern die wollen das verstehen, was auf dem Teller ist, und das ist meiner Meinung nach nur mit einem Minimum an Ingredienzen möglich.“
Günzels Küchenlinie lässt sich als radikaler Minimalismus beschreiben. Seine Gerichte kommen mit drei Komponenten aus. Im Vordergrund steht immer das Produkt, und ausschlaggebend für die Auswahl ist einzig und alleine der Geschmack. Von Regionalitätsfetischismus oder sonstigen Einschränkungen will Günzel nichts wissen. Vielmehr ist er dafür, die europäische Dimension auch in der Gastronomie zu sehen und zu nutzen. „Wenn ich für eine gewisse Summe essen gehe, erwarte ich mir einfach gewisse Produkte. Eine bretonische Seezunge kann ich in 24 Stunden im Restaurant haben. Tolle österreichische Forelle hin oder her, aber ein Mercedes wird immer ein Mercedes bleiben.“

Pragmatisch und konsequent

Aufgewachsen in der Thüringer Kreisstadt Sömmerda, war es purer Pragmatismus, der Günzel in die Gastronomie führte. „Studieren war noch nicht so trendy. Es hat geheißen, such dir ein Handwerk aus.“ Vorbild war letztlich der große Bruder, den Günzel bei einem Autounfall verlor. Sein erstes Tattoo mit 18 Jahren war ein Schriftzug zur Erinnerung an ihn. Das Leben, das es lange nicht besonders gut meinte mit ihm, schrieb sich im Laufe der Jahre immer mehr in Form von Tattoos auf seinen Armen ein.
Der junge Koch kämpfte gegen den gewalttätigen Vater, wandte sich von ihm ab und ging nach Berlin, ins Adlon Kempinski Hotel, wo er in den Sog der Spitzenküche geriet und davon profitierte, hart im Nehmen zu sein: „Dann wirst du wie im modernen Sklavenhandel weitergegeben, hörst das erste Mal von Sternen, Punkten, Hauben, und da ich mir für keine Arbeit zu schade bin, habe ich mich da reingebuckelt“, erzählt Günzel, für den das Adlon nur der Beginn einer beachtlichen Reihe renommierter Stationen war.
Tolle österreichische Forelle hin oder her, aber ein Mercedes wird immer ein Mercedes bleiben.
Starkoch Fabian Günzel hat die Nase voll vom Regionalitätsfetischismus
Er war im Restaurant La Vie in Osnabrück, in Christian Jürgens’ Überfahrt, bei Silvio Nickol im Schlosshotel Velden, bei Heinz Winkler in der Residenz, bei Matthias Buchholz im 1st Floor Berlin, bei Joachim Wissler im Vendôme, bei Andreas Caminada auf Schloss Schauenstein und im Palais Coburg, wieder bei Silvio Nickol. „Christian Jürgens war für mich der prägendste Mensch. Er war rau und grob, aber ein sehr konsequenter und erfolgreicher Mensch, der darauf geschaut hat, dass er wirtschaftlich arbeitet, was heute leider immer mehr aus den Augen verloren wird. Es ist nicht so, dass hinter jedem Gastronomen ein reicher Immobilienmäzen steht.
Das muss man der jungen Generation beibringen, und das versuche ich vorzuleben“, erklärt der Neo-Gastronom. Zum Beispiel durch seine Standortwahl. Mit Blick auf die Lebensqualität und die geplante dritte Flughafenpiste erwartet er, dass das Wiener Gastro-Pflaster erst richtig heiß werden wird. „Die Wiener Gastro ist noch im Dornröschenschlaf, aber das sind die richtigen Zeichen. Da musst du dich gastronomisch so positionieren, dass du auch wirtschaftlich etwas davon hast.“ Durch und durch pragmatisch war auch die Namenswahl für sein Restaurant: Ein A am Anfang, um ganz vorne gelistet zu sein, die Lautschrift mit Klammern, weil stylish und verständlich. Und die IP-Adresse war eben frei. Zack, erledigt.

Günzel ist seit neun Jahren in Wien und fühlt sich als angekommener Leistungsimmigrant, wie er es mit einem Augenzwinkern formuliert. „Die österreichische Gemütlichkeit geht mir manchmal auf den Sack, aber der Wiener Schmäh kann schon was. Ich fühle mich in der Stadt einfach sauwohl und habe hier meine Mitte gefunden.“

Der Bad Boy und der Heilige

Der Gault Millau kürte Günzel 2016 zum Newcomer des Jahres. Zuletzt war der umtriebige Macher Küchenchef im Loft im Wiener Sofitel, bevor er sich eine Auszeit nahm. „Ich habe von heute auf morgen gekündigt, ohne Plan B. So habe ich schon immer meine Entscheidungen getroffen. Ich denke an heute und nicht an morgen.“ Ein eigenes Restaurant schwebte ihm aber sehr wohl schon länger vor. Er hatte lange Geld zur Seite gelegt – „ich war schon immer ein sparsamer und asketischer Mensch“ –, stellte die Finanzierung für das Aend schließlich selbst auf die Beine und legte beim Aufbau mit Hand an. „Ich kenne jeden einzelnen Ziegelstein beim Namen.
Die österreichische Gemütlichkeit geht mir manchmal auf den Sack, aber der Wiener Schmäh kann schon was.
Der gebürtige Deutsche Fabian Günzel lebt seit neun Jahren in Wien und kann sich (fast) nicht beklagen
Das war auch der Grund, warum es finanzierbar war, weil ich halt selbst meine Scheißhände hingehalten hab und permanent mit der Schaufel dastand.“ Jetzt will er möglichst schnell den Kredit abbezahlen und finanziell in ein sicheres Fahrwasser kommen. Dem Aend sieht man auf den ersten Blick an, dass ein Mastermind dahintersteckt, das alles aufs Wesentliche reduzieren und in höchster Qualität machen will. Tischdecken gibt es keine, dafür Schubladen, denen die Gäste das Gedeck entnehmen können. Die Küchencrew trägt keine Kochjacken, sondern T-Shirts und einheitliche Schuhe. „Ich habe alles so umgesetzt, wie ich persönlich mir Top-Gastronomie vorstelle“, fasst Günzel zusammen.
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Günzel Küchenlinie steht für Minimalismus. Hier: Thunfisch und Artischocke.
Bekannt ist der Ausnahmekoch nicht nur für seine geniale Küche, sondern auch für sein strenges Regiment. „Ich bin der typische Deutsche. Bei mir muss immer die Lieferung zur gleichen Zeit kommen, die Mitarbeiter zur gleichen Zeit. Es muss sauber sein, es muss hygienisch sein.“ Wenn nicht, dann gnade Gott dem Störer der Ordnung – oder zumindest Laurentius, der Schutzheilige der Köche, der auch auf Günzels Arm tätowiert ist. Mittlerweile versucht er aber, den rauen Ton zu reduzieren, wie er sagt. „Ich habe erkannt, dass nicht jeder mein Tempo mitgehen will und die Leidenschaft teilt, was selbstverständlich ist. Es kann nicht jeder so einen Fokus haben. Es kann nicht jeder 14 bis 16 Stunden am Tag arbeiten wollen. Das ist ja nicht verwerflich.”
Seine Strategie: nicht explodieren, sondern den Frust beim Sport abbauen und dann etwas ausgeglichener wieder zum Abendgeschäft erscheinen. Funktioniert so weit ganz gut, und die laufend eintrudelnden Bewerbungen lassen ihn darauf schließen, dass er doch kein so schrecklicher Chef sein kann. Dass er heute ist, wo er ist, verdankt Günzel einer Stärke, die man nur dann hat, wenn einem nichts in den Schoß gefallen ist. Weil er gelernt hat, das, was passiert, anzunehmen und das Beste daraus zu machen. Jammern gibt’s nicht, nur kämpfen und seinen eigenen Weg gehen. „Ich bin mit mir selbst im Reinen“, sagt Günzel. „Wenn einmal etwas auf meinem Grabstein stehen sollte, dann: Hat sein Leben konsequent gelebt.“
www.aend.at Hier geht’s zum Rezept für Fabian Günzels Kreation Thunfisch und Artischocke!

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