Wie Heinz Reitbauer im Steirereck die österreichische Küche revolutioniert

Tränen, vorgetäuschte Sprachkenntnisse und ein illegaler Auslandsaufenthalt: Wie Heinz Reitbauer die österreichische Küche revolutioniert – und seine Leidenschaft für Pilze entdeckte.
November 2, 2018 | Text: Lucas Palm | Fotos: Monika Reiter, beigestellt

Heinz Reitbauer hätte oft Gelegenheit gehabt, den bequemen Weg zu gehen. Doch wer wie er die Küche eines ganzes Landes revolutioniert, hält von Bequemlichkeit wohl nicht besonders viel. Das beweist nicht nur sein Werdegang, sondern auch seine Art und Weise, sein legendäres Steirereck in Wien zu führen, weiterzuentwickeln und als eines der besten Restaurants weltweit zu halten. Angefangen hat alles im elterlichen Betrieb. „Aus Liebe zu meiner Mutter“, wie Reitbauer sagt, hatte er im aufstrebenden Steirereck seiner Eltern die Lehre begonnen. Es ging vor allem darum, nach den Jahren im Internat wieder im Schoß der Familie zu sein. Doch schnell zeichnete sich ab: Für den jungen Heinz Reitbauer voller Tatendrang war das nichts. „Ich habe zu Hause an zu vielem angeeckt, eher mit der Familie als mit allem anderen“, so der 2-Sterne-Koch schmunzelnd. Da kam ihm der Tipp eines befreundeten Gastronomie-Kritikers gerade recht. Denn dieser empfahl ihm das Restaurant von Karl und Rudi Obauer in Werfen. „Ich hatte damals das Gefühl, dass ich wahnsinnig gut bin für mein Alter“, so Reitbauer, „und auch bei den Obauers fing ich mit dem Gefühl an, dass ich meiner Generation meilenweit voraus bin.“ Doch Reitbauers jugendlicher Größenwahn verflog in Werfen innerhalb kürzester Zeit.
Heinz Reitbauer mit Pilzen, Schwammerl und Moos

Heinz Reitbauer hätte oft Gelegenheit gehabt, den bequemen Weg zu gehen. Doch wer wie er die Küche eines ganzes Landes revolutioniert, hält von Bequemlichkeit wohl nicht besonders viel. Das beweist nicht nur sein Werdegang, sondern auch seine Art und Weise, sein legendäres Steirereck in Wien zu führen, weiterzuentwickeln und als eines der besten Restaurants weltweit zu halten. Angefangen hat alles im elterlichen Betrieb. „Aus Liebe zu meiner Mutter“, wie Reitbauer sagt, hatte er im aufstrebenden Steirereck seiner Eltern die Lehre begonnen. Es ging vor allem darum, nach den Jahren im Internat wieder im Schoß der Familie zu sein. Doch schnell zeichnete sich ab: Für den jungen Heinz Reitbauer voller Tatendrang war das nichts. „Ich habe zu Hause an zu vielem angeeckt, eher mit der Familie als mit allem anderen“, so der 2-Sterne-Koch schmunzelnd.

Reitbauers erste große Herausforderung bei den Obauers

Da kam ihm der Tipp eines befreundeten Gastronomie-Kritikers gerade recht. Denn dieser empfahl ihm das Restaurant von Karl und Rudi Obauer in Werfen. „Ich hatte damals das Gefühl, dass ich wahnsinnig gut bin für mein Alter“, so Reitbauer, „und auch bei den Obauers fing ich mit dem Gefühl an, dass ich meiner Generation meilenweit voraus bin.“ Doch Reitbauers jugendlicher Größenwahn verflog in Werfen innerhalb kürzester Zeit. In einem der besten österreichischen Häuser seiner Zeit ging es ans Eingemachte. „Die haben mich sehr schnell geerdet“, erinnert sich Reitbauer. Und mehr noch: Der junge Großkotz stand zum ersten Mal vor einer großen Herausforderung, die er selbst als „sehr hohe Wand“ bezeichnet. „Ich habe mich über Wochen ins Bett geheult!“, so der Meister der österreichischen Küche heute. Doch Heulerei hin oder her, aufgeben war keine Option. Neben all den zweifelnden Fragen, die sich ihm plötzlich stellten, erinnert sich Reitbauer an die geradezu existenzielle Ansage, die er schließlich eines Tages plötzlich selbst machte: „Wenn ich jetzt das erste Mal in meinem Leben vor einer richtig großen Hürde scheitere, werde ich mein ganzes Leben lang vor allen Dingen davonlaufen.“ Reitbauer biss durch, raffte sich jeden Morgen auf und ging in die Arbeit. So wurde aus der schwersten Prüfung, die dem Heranwachsenden auferlegt wurde, die prägendste Zeit seines Lebens. Und diese mündete letztlich auch in eine dankbare Freundschaft zu den Obauers. Ihr Verdienst bringt Reitbauer mit einem Satz auf den Punkt: „Die Obauers haben einen normalen Menschen aus mir gemacht.
Ich habe mich über Wochen ins Bett geheult!
Heinz Reitbauer über seine erste große Herausforderung bei den Obauerscsm_rp230-coverstory-header1_919f8d2804

Der Herr des Waldes zeigt seine Schätze: Heinz Reitbauer und seine Pilze

Ein „kleiner Österreicher“ bei Alain Chapel

Geerdet und geschliffen, wusste Reitbauer, dass er jetzt auch der nächsten Herausforderung gewachsen war. Und diese suchte der junge Nachwuchskoch in Frankreich. Sein Ziel: Alain Chapels 3-Sterne-Tempel in Mionnay, ganz in der Nähe von Lyon. Von seiner Hartnäckigkeit können sich heute noch manche eine Scheibe abschneiden: Ganze sechs Mal schrieb er seinem Vorbild. Die Briefe ließ er jedes Mal in perfektes Französisch übersetzen. Den siebten Brief an sein Idol kann Reitbauer bis zum heutigen Tag noch sinngemäß zitieren: „Mir ist schon klar“, stand da, „dass ich nur ein kleiner Österreicher bin, der in Ihrer Küche arbeiten will, aber ich habe jetzt den siebten Brief verfasst und hätte mir zumindest eine Antwort erwartet.“ Wer also glaubt, dass hartnäckiges Nachbohren eines Bewerbers nichts bringt oder vielleicht sogar alles schlimmer macht, wird hiermit eines Besseren belehrt. Denn nach diesem siebten Brief hieß es aus den heiligen Hallen Alain Chapels: „O.k., komm!“

Schweigen ist Gold

Doch zunächst hieß es, eine Aufenthaltsbewilligung für Frankreich zu bekommen, schließlich schreiben wir den Anfang der 1990er. Dass ein junger Heinz Reitbauer stattdessen einen phasenweise nicht ganz legalen Auslandsaufenthalt in Kauf nimmt, versteht sich von selbst. Und natürlich flog in der Küche auf, dass das Französisch des „kleinen Österreichers“ nicht so berauschend war, wie er es vorgegeben hatte. „Aber in Wirklichkeit sagt man in den ersten Monaten in einer Küche auch nur ‚Oui, Chef!‘“, winkt Reitbauer ab. „Das war damals ja noch alles ein wenig anders.“ Sein holpriges Französisch hinderte den jungen Reitbauer nicht daran, seine Inspirationen aus dem Geschehen um sich herum herauszufiltern. Da störte es den Wissenshungrigen auch nicht, in der Küche vom Chef nicht sonderlich beachtet worden zu sein.
In Wirklichkeit sagt man in den ersten Monaten in einer Küche auch nur: Oui, Chef!
Heinz Reitbauer über seine Zeit bei Alain Chapel in Frankreich

Er wusste, auf leere Höflichkeitsfloskeln kommt es in diesem Beruf nicht an. „Chapels Unbeirrtheit, sein Wissen und seine unglaubliche Produktaffinität haben mich schwer beeindruckt und sehr geprägt. Er war ein sehr ruhiger und stiller Mann, der oft auch gegen den Mainstream geschwommen ist. Auch seine Einstellung, nicht jedem gefallen zu müssen, hat mich sehr beeindruckt.“

Herzhafter Wissenschaftler

Was Reitbauer aus diesen beiden Erfahrungen, die er als die beiden prägendsten bezeichnet, gemacht hat, ist bekannt: 2005 übernahm er vom bisherigen Küchenchef Helmut Österreicher das Wiener Steirereck, machte es zum international am besten bewerteten Restaurant des Landes. Zwei Sterne im Guide Michelin, 19 Punkte im Gault Millau, Platz 14 der World’s 50 Best Restaurants. Und das alles, während er selbst seit zwei Jahren Nummer eins der 50 Best Chefs Austria ist. 1996 eröffnete Reitbauer außerdem als Küchenchef das Steirereck am Pogusch in Turnau, der Heimatgemeinde seiner Eltern.
Die Lust, die Natur zu erkunden, ist eigentlich erst gekommen, als ich sie nicht mehr vor mir hatte.
Heinz Reitbauer über die Anfangszeit seiner Pilz-Entdeckungen

„Als ich in der Steiermark am Pogusch gearbeitet habe, bin ich kaum in den Wald gegangen“, sagt Reitbauer. „In Wahrheit bin ich von früh bis spät in der Küche gestanden und war von Montag bis Mittwoch in Wien. Die Lust, permanent die Natur zu erkunden, ist dann eigentlich erst gekommen, als ich sie nicht mehr vor mir hatte“, so Reitbauer über die Anfänge seiner forschenden Waldgänge. Hinzu kam, dass Reitbauer zusammen mit seiner Frau, der als Gastgeberin des Steirereck mehrfach ausgezeichneten Birgit Reitbauer, anfing, regelmäßig den Sommerurlaub auf einer Kärntner Alm auf 1400 Metern zu verbringen. „Dort sind wir komplette Selbstversorger, ohne Kühlung, ohne Strom. Und da stehe ich dann entweder in der Küche oder gehe in den Wald“, so der Pilzfanatiker. Im ersten Jahr nahm der Herr des Waldes noch ein Pilzbuch mit, im Jahr darauf waren es dann zwei – der Rest ist Geschichte. Denn nachdem Reitbauer die Welt der Pilze für sich und die österreichische Küche entdeckt hatte, hatte es klick gemacht. „Da bin ich natürlich auch Gastronom“, so der Küchenchef ganz pragmatisch. „Als ich gemerkt habe, dass wir das verarbeiten können, was bis dato nicht interessant war, dachte ich mir: Warum schauen wir da nicht weiter?“ Heute gehört Heinz Reitbauer zu den virtuosesten Pilzverarbeitern überhaupt und hat damit das Steirereck neu definiert.

Besessene Produktverliebtheit

Akribisch und mit enormem Aufwand widmet sich Reitbauer der Komplexität dieser geschmacksreichen Walderzeugnisse. Ob nun Pfifferlinge, Steinpilze, Krause Glucke oder Stockschwämme, um nur einige zu nennen – der Chef des Steirerecks lässt sich auf jedes einzelne Aroma der Pilze ein. Ganze 700 Sorten kann Florian Kogseder, sein oberösterreichischer Züchter des Vertrauens, definieren. Das ist selbst für Reitbauer beeindruckend. Allein in Mittel- europa gibt es 3000 bekannte Pilzarten, die natürlich noch nicht alle von ihm kulinarisch verarbeitet wurden. Doch die, denen er sich bis jetzt in seiner unverwechselbaren Art widmete, lassen selbst dem hungrigsten Gast die Kinnlade lange offen stehen.
Wenn man viel mit Pilzen kocht, muss man sich auch immer einen Plan überlegen, diesen erdigen Noten entgegenzusteuern.
Heinz Reitbauer hat stets das große Ganze im Kopf

In seinem Gericht „Speck im Pilzmantel“ kocht Reitbauer Lärchenröhrlinge und den sogenannten Flockenstieligen Hexenröhrling in einem Gewürzsud auf. Nach einer Stunde Ruhezeit werden die Pilze vier bis fünf Stunden gegart und mit Bergheu geräuchert, wodurch sie in ihrem Geschmack und ihrer Konsistenz an Speck erinnern. Serviert werden die Pilze mit einer Terrine aus Knollensellerie, die mit Lauchasche und fermentiertem Steinpilzpulver mariniert wird. Dass die Terrine noch für zwölf Stunden jeweils kalt und warm gepresst wird, unterstreicht, wie wenig Reitbauer auch den zeitlichen Aufwand für die perfekte Umsetzung seiner Gerichte scheut. In seinen mannigfaltigen Vorträgen, die Reitbauer über seine Arbeit hält, wird klar, wie reflektiert er sein eigenes Tun im Blick hat.

Reitbauer auf den CHEFDAYS Berlin

„Wenn man viel mit Pilzen kocht, muss man sich auch immer einen Plan überlegen, diesen erdigen Noten entgegenzusteuern, damit die Menüabfolge auch einen passenden Spannungsbogen an Aromen bietet“, wusste Reitbauer bei seinem Vortrag auf den CHEFDAYS in Berlin. So versteht er es, mit gezielten und sorgsam ausgesuchten Zutaten für die nötige Frische und Säure zu sorgen: Zweierlei vom Stachelpilz wird mit Polenta, Pomelo, geschmorten Albino-Rüben gefüllt mit Zitronen-Mayonnaise, Verjus, einem Pulver aus Shizu und Roten Rüben kombiniert – und entwickelt dadurch ein unnachahmliches Aromenspiel. Man könnte sich natürlich ewig in der Beschreibung von Reitbauers Kochkünsten ergehen, die es wohl als einzige schaffen, auch einen wissenschaftlichen Appetit in jedem Gast zu entfachen. Fest steht: Es ist diese besessene Produktverliebtheit, die mit herzhafter Wissenschaftlichkeit betrieben wird, aus der die charakteristische Innovationsküche im Steirereck entsteht. Und genau diese Produktverliebtheit ist auch die Wurzel, in der für Heinz Reitbauer die Zukunft liegt: „Ich glaube“, so Reitbauer vorausblickend, „dass die Gastronomie noch eine weitere Aufgabe hat, als den Menschen eine schöne Zeit zu bescheren und gutes Essen zu machen: sie muss eine stärkere Verbindung zur Landwirtschaft herstellen, weil ich glaube, dass das der Schlüssel ist für ganz viele Dinge in unserem Land, und vor allem für eine Stärkung unserer Kulturlandschaft und ihrer wahren Vielfalt. Wir Köche sind oft der Türöffner für Produkte, die Menschen noch nicht kennen, wir haben also alle eine Vorbildwirkung. Mit allem, was wir kochen und wie wir’s kochen, nehmen wir Köche also ganz stark Einfluss auf das, was in Zukunft in diesem Land angebaut und gegessen wird.“ Selten hat sich die Zukunft so vielversprechend angehört.
www.steirereck.at
Wer wie Heinz Reitbauer die Artischocke aus dem Marchfeld zubereiten möchte, findet das Rezept hier.

 

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