Was trinkt die Gen Z? Es bleibt kein Wein auf dem anderen!
Work hard. Party hard. Oder: Ein bisschen Spaß muss immer sein! Die Millennials haben Phrasen wie diese nicht nur gedroschen, sondern auch zelebriert – und tun es großteils immer noch. Sehr zur Freude der Weinwelt, keine Frage. Doch langsam sieht es so aus, als wäre die Party schon ganz bald vorbei: Aktuelle Studien belegen, dass fast die Hälfte der Menschen zwischen 18 und 24 Jahren gar keinen Alkohol mehr trinkt.
Work hard. Party hard. Oder: Ein bisschen Spaß muss immer sein! Die Millennials haben Phrasen wie diese nicht nur gedroschen, sondern auch zelebriert – und tun es großteils immer noch. Sehr zur Freude der Weinwelt, keine Frage. Doch langsam sieht es so aus, als wäre die Party schon ganz bald vorbei: Aktuelle Studien belegen, dass fast die Hälfte der Menschen zwischen 18 und 24 Jahren gar keinen Alkohol mehr trinkt.
Gen Z und der Wein
Aktuelle Studien machen mehr als deutlich, dass sich die Gen Z nur noch bedingt für Alkohol begeistern lässt. Eine internationale Online-Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov kommt zu einem eindeutigen Ergebnis: Demnach verzichten 49 Prozent der Gen Z komplett auf Drinks. Eine weitere Studie offenbart, dass in der Altersgruppe zwischen 14 und 25 Jahren Themen der mentalen Gesundheit von besonderer Bedeutung sind: ein Grund für viele, auf Alkohol zu verzichten. Denn auch die Folgen einer Alkoholsucht werden inzwischen offener thematisiert.
Die nun erwachsen werdende Gen Z lebt gesünder, achtet viel mehr auf sich selbst und den eigenen Körper. Das hat viele Ursachen, Social-Media-Strömungen spielen eine relevante Rolle. Jedenfalls aber ist diese Entwicklung grundsätzlich gutzuheißen. Sie sorgt allerdings sowohl bei Winzern als auch bei Weinhändlerinnen und Sommeliers zunehmend für ernsthaftes Stirnrunzeln. Schließlich kann jeder eins und eins zusammenzählen: Wenn die Gen Z in das Alter kommt, in dem sie über ausreichend Einkommen verfügt, um so richtig gut essen zu gehen, wird sie wohl keinen Bordeaux, Champagner oder Sauternes ordern – sondern auf alkoholfreie Speisebegleitung setzen.
Da stellt sich also die logische und wohl berechtigte Frage: Was haben Sommeliers denn dann noch für einen Auftrag?
Es geht nicht gegen den Wein
Nicole Klauß ist in der Slowfood-Welt aktiv, hat eine Wine-Expert-Ausbildung an der Deutschen Wein- und Sommelierschule absolviert und setzt sich dennoch seit vielen Jahren mit dem Thema alkoholfreie Essensbegleitung auseinander. 2016 hat sie dazu in fast hellseherischer Zielsicherheit mit „Die Neue Trinkkultur“ ein Buch geschrieben, das heute als Standardwerk im Segment der alkoholfreien Getränke gilt.
Ganz aktuell ist ihr neues Werk „Alkoholfrei“ in den Bestsellerlisten zu finden. Sie sagt sinngemäß: Wenn hier kein breites Umdenken stattfindet, wird es ein böses Erwachen geben. In ihren Augen fängt das Dilemma schon in der Sommelier-Ausbildung an – indem das Thema bis auf ein paar wenige Alibi-Einheiten schlichtweg ignoriert wird.
Ein fataler Fehler, ist sich Klauß sicher und begründet das, indem sie eine spannende Parallele zieht: „Wenn du vor 20 Jahren etwas Vegetarisches bestellt hast, wurde die Gemüsebeilage serviert. Heute ist das Thema vegetarisch und vegan Kochen in ziemlich jeder Küche angekommen. Ganz ähnlich ist die Problematik aber mit der alkoholfreien Essensbegleitung gelagert. Allein, hier sind wir heute noch fast auf dem Stand wie in Sachen vegetarisch Essen vor zwei Jahrzehnten!“
„Aus Kombucha, Tees, Fermenten und Kräuterauszügen lässt sich Weingeschmack sehr gut nachbauen!“
Weinhändler Holger Schwarz über die sogenannten „Proxies“
An dieser Stelle ist es wichtig festzuhalten, dass Nicole Klauß keineswegs einen Kampf gegen Alkohol oder Wein führt. „Es geht mir überhaupt nicht darum, zu sagen, die Menschen sollen keinen Wein mehr trinken. Mir geht es darum, zu sagen, dass es einfach genauso OK ist, Alkohol zu trinken, wie es OK sein soll, eben keinen Alkohol zu trinken.“
Wir wissen alle: Das ist in unserem gesellschaftlichen Miteinander eher selten der Fall. Und eben diese Wahrnehmung trübt die Sicht auf die nahende Realität. Das alkoholgetränkte Miteinander wird durch die Gen Z mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in den nächsten zehn Jahren kippen.
Also, zurück zur Kernfrage: Wie können Sommeliers hier noch Platz finden? Die Expertin ortet hier mehr Chance als Bedrohung: „Es gibt so unglaublich viele Alternativen zu Wein und anderen alkoholischen Getränken, die genauso viel Geschichte in sich tragen und genauso spannende Geschmacksmuster mitbringen. Jetzt ist die Zeit, diese zu entdecken!“
Klar, dabei redet Klauß keineswegs von simplen Säften, einfältigen Softdrinks oder schlichtem Mineralwasser. „Tee zum Beispiel kann man als großartige Alternative zu Wein begreifen“, sagt sie und meint damit keine Instant-Teebeutel, die mit viel zu heißem Wasser lieblos aufgebrüht werden.
„Die Welt des Tees ist gut vergleichbar mit jener des Weins. Auch hier spiele Lage, Terroir, Tannin und unzählige Geschmacksnoten eine tragende Rolle.“ Aber freilich ist das nur ein Aspekt von sehr vielen, die am Ende zu einer alkoholfreien oder -armen Getränkebegleitung im Sinne der heranwachsenden Gen Z führen.
Was bitte sind Proxies?
Einer, der diese Entwicklung ähnlich früh verstanden hat wie Nicole Klauß, ist Holger Schwarz. Der Deutsche wird in der Weinwelt gern als „Berlins nüchternster Weinhändler“ tituliert – aus gutem Grund: Seit Jahren lebt er abstinent und hat seinen Charlottenburger Weinladen Viniculture zur vielleicht spannendsten Adresse einer neuen alkoholfreien Trinkkultur gemacht.
Überraschenderweise aber forciert er nicht etwa alkoholfreie Weine, sondern erteilt diesen gar eine regelrechte Absage, wenn er sagt: „Mein Ziel ist es, uns mit den alkoholfreien Alternativen an der Komplexität eines Weingeschmacks entlangzubewegen. Die Übersüße von Trauben ist dazu am allerwenigsten geeignet. Stattdessen: Kombucha, Tees, verschiedene Fermente, Kräuterauszüge.“
Aus diesen Ingredienzien lässt sich bekannter Weingeschmack verdammt gut nachbauen. Diese Erzeugnisse verlangen viel Hirnschmalz, Wissen, Können und Geduld und sind inzwischen unter dem Überbegriff „Proxies“ bekannt. Wenn man so will, sind sie der Gegenentwurf zum entalkoholisierten Wein, sie bringen Geschmack, Körper und Säure mit und sind so besonders, weil sie nicht versuchen, Wein oder eine bestimmte Rebsorte zu imitieren.
Sondern vielmehr eine besondere Aromenkombination mit Tanninen, Säure, Bitternoten, Süße und auch Nachhall mitbringen, ohne auf den Alkohol als Geschmacksträger angewiesen zu sein. „Im Prinzip sind Proxies alle Getränke, die einer erwachsenen Alternative zu Wein entsprechen“, so die einhellige Meinung. Ob diese Produkte angenommen werden? Holger Schwarz sagt dazu bloß staubtrocken: „In unserem Webshop machen sie nur fünf Prozent der angebotenen Produkte aus, aber mittlerweile 20 Prozent des Umsatzes.“
„Die Sache mit der alkoholfreien Essensbegleitung ist gut mit der Entwicklung zu vegetarischer und veganer Küche vergleichbar!“
Nicole Klauß
Nur nicht zu viel Industrie
In ein ähnliches Horn stößt der Österreicher Johannes Schellhorn von der Bar Freundschaft in Berlin. Er sagt: „Ich sehe kein Problem darin, dass die Jugend keinen Wein mehr mag. Ich sehe viele neue Chancen und Wege, die sich eröffnen: Die Legalisierung von Marihuana in Deutschland etwa lässt es zu, dass Trauben mit Hanf mazeriert werden. Da kommen spannende Produkte, die auch die Gen Z freuen werden!“
Seiner Wahrnehmung nach ist Wein ein Produkt, das für die jungen Menschen zu spießig daherkommt. „Wein ist unsexy geworden“, so Schellhorn. Sein Kompagnon Willi Schlögl warnt zusätzlich davor, in großer Panik zu viel zu wollen: „Wenn wir nun Zucker ausführen oder Alkohol rausnehmen hat das alles mit industriellen Prozessen zu tun. Das steht zusätzlich im Widerspruch zu den Werten, die in der jungen Generation stark verankert sind: möglichst naturnah zu konsumieren.“
Gleichzeitig aber sollte man, so die beiden Sommeliers, auch die Kirche samt Messwein im Dorf lassen: „Hochwertige Weine werden auch in Zukunft im Premiumsegment eine große und relevante Rolle spielen“, sind sich beide einig. Schließlich würden nicht nur die 50 Prozent, die keinen Alkohol trinken, in zehn Jahren gut essen gehen, sondern eben auch die anderen 50 Prozent, die sehr wohl auf dieses Genussmittel reflektieren.
Eines aber scheint offensichtlich: Jeder Sommelier, jede Winzerin muss sich in Zukunft mit mehr als nur Wein befassen, um die Wünsche der Gäste auch morgen noch genauso gut erfüllen zu können wie heute. Das bedeutet aber auch, dass die Ausbildung eben mitziehen muss. Diesbezüglich ist übrigens Autorin Nicole Klauß gerade am Tun: Sie entwickelt eine Ausbildungsschiene für all jene, die sich in diesem Gebiet weiterbilden wollen. Klingt nach einem Projekt, das viel Zukunft hat!