Wie Super-Reben die Zukunft der Weinwelt retten sollen

Weil klassische Rebsorten dem Klimawandel nicht gewachsen sind, drängen aktuell neue, besonders widerstandsfähige Züchtungen namens PIWIs auf den Markt. Aber können aus diesen Trauben gekelterte Weine auch geschulte Gaumen überzeugen? Und wie könnte Gentechnik dabei helfen?
Mai 11, 2023 | Text: Johannes Stühlinger | Fotos: Shutterstock, Katharina Roesch/NUNU Photography, Lukas Diemling

Salzstürme, die über das einst urbare Land fegen. Trockene Felder, so weit das Auge reicht. „Die Folgen wären fatal“, sagt Josef Umathum. „Ich glaube, dass das Leben dann hier nicht mehr angenehm und Weinbau auch kaum möglich wäre.“ So skizziert der international renommierte Winzer aus Frauenkirchen im österreichischen Burgenland eine womöglich gar nicht so ferne Zukunft: Würde der Neusiedlersee, an den Umathums Rebflächen grenzen, durch den Klimawandel zur Gänze austrocknen, wäre das seiner Meinung nach die Konsequenz. Und dafür fehlt nicht mehr viel. Das belegt wohl die Tatsache, dass derzeit konkrete Überlegungen angestellt werden, um Europas größten Steppensee samt seinen Salzlaken mittels künstlicher Zuleitungen zu speisen.

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Sie sehen gleich aus wie unsere bekannten Edelrebsorten. Doch im Erbgut der sogenannten PIWIs stecken Eigenschaften, die sie besonders widerstandsfähig machen

Salzstürme, die über das einst urbare Land fegen. Trockene Felder, so weit das Auge reicht. „Die Folgen wären fatal“, sagt Josef Umathum. „Ich glaube, dass das Leben dann hier nicht mehr angenehm und Weinbau auch kaum möglich wäre.“ So skizziert der international renommierte Winzer aus Frauenkirchen im österreichischen Burgenland eine womöglich gar nicht so ferne Zukunft: Würde der Neusiedlersee, an den Umathums Rebflächen grenzen, durch den Klimawandel zur Gänze austrocknen, wäre das seiner Meinung nach die Konsequenz. Und dafür fehlt nicht mehr viel. Das belegt wohl die Tatsache, dass derzeit konkrete Überlegungen angestellt werden, um Europas größten Steppensee samt seinen Salzlaken mittels künstlicher Zuleitungen zu speisen.

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Sie sehen gleich aus wie unsere bekannten Edelrebsorten. Doch im Erbgut der sogenannten PIWIs stecken Eigenschaften, die sie besonders widerstandsfähig machen

Neue Weine braucht die Welt

Diese Geschichte beschreibt recht drastisch, unter welch großem Druck die Winzer in aller Welt derzeit stehen. Aufgrund des längst spürbaren Klimawandels ändern sich die Bedingungen teilweise so dramatisch, dass klassische Rebsorten in ihren angestammten Gebieten bald nicht mehr gedeihen werden. Um ihre Zukunft zu sichern, beschreiten Weinbauern aktuell neue Wege, um die eigene Zukunft zu sichern. Und dabei spielen vor allem alte und besonders widerstandsfähige Rebsorten eine tragende Rolle.

Bis so eine neue Rebsorte auf den Markt kommt, vergehen schnell einmal 20 bis 30 Jahre. Hier gilt es, viele Hürden zu überwinden.
Wein- und Marketingexpertin Anja Gemmrich kennt die Stolpersteine der PIWIs

Konkret kreuzen Züchter auf der ganzen Welt derzeit aus unterschiedlichen bestehenden Sorten gänzlich neue und sogenannte „innovative Zukunftsrebsorten“. Dabei geht es darum, nur das Beste aus alten und neuen Welten in einer Pflanze zu vereinen. So werden neue Rebsorten erschaffen, die besonders widerstandsfähig gegen hohe Feuchtigkeit, große Hitze und einen daraus verstärkt resultierenden Pilzbefall sind. „Eben aus diesem Grund werden diese neuen Rebsorten meist als PIWIs bezeichnet – das ist die Abkürzung für pilz-widerstandsfähig“, erklärt Anja Gemmrich.

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Anja Gemmrich beschäftigt sich seit vielen Jahren mit PIWIs und attestiert ihnen besonders spannende Eigenschaften

Die junge Wein- und Marketingexpertin ist im Vorstand der Vereinigung PIWI Deutschland aktiv daran beteiligt, derartigen neuen Sorten den Boden zu bereiten. Zudem wird im familiären Weinbetrieb seit 25 Jahren mit PIWI-Sorten gearbeitet. Diese tragen dann Namen wie Solaris, Sauvignon Gris, Muscaris oder Regent. „Sie machen heute 20 Prozent unseres Ertrags aus“, so die 31-Jährige. Damit zählt ihre Familie zu den Pionieren auf dem PIWI-Sektor. Sie sagt: „Bis eine solche neue Sorte vom Züchter auf den Markt kommt, vergehen schnell 20 bis 30 Jahre.“

Schließlich ist nicht nur die Kreuzung selbst ein langwieriger und hochwissenschaftlicher Prozess. Die Zulassung einer neuen Rebsorte ist dann der nächste Zank­apfel. Schließlich passiert das für jede Weinregion einzeln und muss überall unterschiedliche Hürden nehmen.

Doch die Mühen lohnen sich Gemmrich zufolge auf jeden Fall. Schließlich seien die Vorteile der PIWIs nicht bloß auf ihre besondere Resilienz gegenüber Umwelteinflüssen beschränkt, betont sie. Anja Gemmrich hat längst eine ganze Menge positiver Eigenschaften destilliert, die ­PIWIs attraktiv machen: „Diese Rebsorten brauchen weniger Pflanzenschutz, die Bodenbelastung durch Traktoren ist geringer und so der gesamte Energieaufwand im Anbau. Sie liefern eine höhere Ertragssicherheit, sind in allen Bereichen ressourcenschonend und eröffnen zudem neue Geschmackswelten.“

Was sagt der Gaumen?

Und genau an dieser Stelle wird die Sache pikant – denn es scheiden sich die Geister. Während Gemmrich den ­PIWI-Weinen etwa eine besonders ausgeprägte Mineralik attestiert, sehen Sommeliers die Gaumenfreude noch etwas getrübt. Fabio Gölles aus der Wein- und Champagnerbar Glou Glou in Graz sagt: „Noch bin ich nicht der größte Fan dieser Rebsorten. Aus meiner Sicht sind sie noch nicht so fein ausgearbeitet wie klassische Edelrebsorten, es fehlt meiner Meinung nach meist an Charakter. Sie haben zwar alle Struktur, aber ob das reicht, wage ich zu bezweifeln. Allerdings bin ich mir sicher, dass sich hier in naher Zukunft noch sehr viel tun wird.“

Aktuell sind PIWIs ideal, um dort Wein zu keltern, wo bis dato kein Weinbau möglich ist.
Fabio Gölles, Weinakademiker

Zudem hätte man auch noch viel zu wenige Erfahrungswerte, was die Lagerung dieser Weine betrifft, moniert Gölles. Aktuell sieht er daher die Vorzüge der PIWIs weniger in unseren Breiten gegeben – dafür aber in Gegenden, in denen Weinbau bis dato gar nicht möglich war. „In Skandinavien, Belgien und den Niederlanden ermöglichen diese neuen Rebsorten nun plötzlich ernsthaften Weinbau. Das ist aus meiner Sicht der ideale Boden, um diese Rebsorten in der Realität weiterzuentwickeln“, so der Weinexperte.

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Weinakademiker Fabio Gölles fragt sich: „Was würde der Einsatz von Gentechnik bringen?“

Seinen Überlegungen zufolge könnten die PIWIs in nördlichen Gegenden sozusagen den Feinschliff bekommen, der sie infolge bald auch für klassische Weinregionen spannend macht. Denn dass der Einsatz dieser Rebsorten Sinn ergibt und Zukunft hat, davon ist auch er überzeugt. „Vor allem die Kombination aus der Naturweinsparte und den PIWIS ist spannend“, hebt er einen weiteren Aspekt hervor. Schließlich schlagen beide Strömungen in die gleiche Kerbe: Es geht darum, unseren Planeten zu schützen und mit dessen Ressourcen möglichst nachhaltig umzugehen.

Gleichzeitig wirft Österreichs aktuell jüngster Weinakademiker eine spannende Frage auf: „Was wäre, wenn in Europa gentechnisch veränderte Rebsorten erlaubt wären?“

Her mit der Genschere

Tatsächlich ist der Einsatz der sogenannten Genschere, mit der Erbgut gezielt und punktuell verändert werden kann, natürlich auch im Weinbau längst Thema. In den USA und China, aber auch in Italien, gibt es dazu schon erste Experimente mit vielversprechenden Ergebnissen.

Durch Inaktivierung von sogenannten Anfälligkeitsgenen, also Genen, die die Erreger benötigen, um in die Pflanzenzellen einzudringen, könnten Resistenzen noch weit besser vermittelt werden als mittels Kreuzungen. Vor allem aber würde man auf diese Weise nicht in die Geschmackswelten berühmter Rebsorten eingreifen, erklärt Oliver Trapp, stellvertretender Leiter des Instituts für Rebenzüchtung des Julius Kühn-Instituts am Geilweilerhof im deutschen Siebeldingen. „Das bedeutet, der Riesling, wenn man ihn an einer entsprechenden Stelle verändert, wäre anschließend resistent und würde noch genauso schmecken und sich im Weinberg genauso verhalten wie der Riesling vorher.“

Nachsatz: „Das ist gerade in den konservativen Weinbauländern wie etwa Italien eine große Motivation, mit dem sogenannten Genome Editing voranzuschreiten.“

Allein, selbst wenn diese Methode schneller zum Erfolg führt, bleibt die Frage, inwiefern diese Rebsorten dann auch ausgepflanzt werden dürfen. Hierbei prallen freilich Forschung und umweltschutztechnische Bedenken aufeinander. Wenn allerdings der Leidensdruck durch den Klimawandel immer höher wird, könnten sich all diese Bedenken womöglich schnell in Luft auflösen. Nicht nur in Sachen Weinbau – sondern in der gesamten Landwirtschaft.

WAS SIND PIWIS?

Während in der Wissenschaft neue und besonders resiliente Rebsorten eher als „innovative Zukunftsrebsorten“ bezeichnet werden, hat sich in der Öffentlichkeit der Begriff PIWI-Weine durchgesetzt: Weine, die aus pilzwiderstandsfähigen Rebsorten gekeltert werden – kurz PIWI genannt. Diese neuen Rebsorten entstehen in einem aufwendigen und langwierigen Kreuzungsprozess. Auch sind die Erfahrungswerte mit ihnen noch überschaubar. Dennoch liegt in vielen berühmten Weingegenden viel Hoffnung in diesen, dem Klimawandel trotzenden Rebsorten.

 

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