Warum Eckart Witzigmann der „G’spinnerte vom Viktualienmarkt“ war
Visionär
Er revolutionierte im Deutschland der 1970er-Jahre die gesamte Gastronomie – indem er Top-Produkte kompromisslos in den Mittelpunkt seiner Küche stellte. Warum der Jahrhundertkoch Eckart Witzigmann als Spinner vom Münchner Viktualienmarkt galt, im Tantris Hummer ihr eigenes Becken bekamen – und plötzlich jeder auf Entenbrust schwor.
Herr Witzigmann, wie hat das damals alles begonnen, als sich in Deutschland die ersten Top-Lieferantennetzwerke für die Spitzengastronomie etablierten?
Eckart Witzigmann: Beim Blick zurück muss man fair sein, es gab vor 50 Jahren auch gute Produzenten und Händler in Deutschland. Man denke zum Beispiel nur an die Fischhändler in Hamburg, aber auch in Düsseldorf. Dort gab es schon damals Steinbutt und Seezungen. Als ich nach Deutschland gekommen bin, habe ich durch meine intensiven Erfahrungen in Frankreich auch gewusst, was es an tollen Produkten gibt. Natürlich wollte ich dann eben eine Miéral-Taube auf der Speisekarte haben. Das Problem war: Für die Verwendung im Restaurant mussten die eben halbwegs die gleiche Größe haben. Das war für die Züchter am Anfang sehr schwierig, aber um im Restaurant immer halbwegs gleich große Tauben zu haben, wurde letztlich bei meinen bekannten Züchtern in Frankreich bestellt. Ich habe ja bei Paul Bocuse gelernt, dass es im Grunde genommen nur immer um das perfekte Produkt geht. Und er ist in Lyon jeden Tag zum Markt gefahren und hat sich das Beste vom Besten ausgesucht. Das Interessante ist, dass der Viktualienmarkt in München damals im Vergleich bereits ziemlich gut aufgestellt war, aber die Nachfrage war einfach nicht da. Mit der Zeit wurden unsere Gäste letztlich auch Kunden des Viktualienmarktes in München oder anderer großer Märkte in Deutschland.
Wenn ich auf den Viktualienmarkt kam, hieß es meistens: „Da kommt wieder der G’spinnerte!“
Eckart Witzigmann, einst verkanntes Produkt-Genie
Und Sie waren es dann, der wesentlich mitverantwortlich dafür war, diese Nachfrage durch ein für damalige Verhältnisse sehr mutiges Angebot erst kreiert zu haben. Wie sind Sie vorgegangen?
Witzigmann: Naja, ich war durch meine Zeit in Frankreich da schon erheblich vorbelastet und mir war klar, dass wir für unsere Mission in Deutschland ohne die Produkte aus Frankreich nicht weiterkommen. Aber parallel dazu habe ich mit viel Aufwand versucht, hier Produzenten zu finden und denen meine Anforderungen klarzumachen. Der Aufbau eines eigenen Netzwerkes hier war schwierig, aber nach heutiger Sicht erfolgreich. Mein damaliger Gemüselieferant beispielsweise, Walter Suter, gab mir damals den Kontakt zu Dieter Biesler, Küchenchef im Hotel Vier Jahreszeiten in München. Suters Vater wiederum war auch Lieferant von Alfred Walterspiel, und durch Zufall – über Otto Koch – habe ich dann den Herrn Baron Riederer kennengelernt, der mir sein legendäres Lamm lieferte, das unglaublich war. Auf dem Viktualienmarkt hatten wir außerdem unseren Wild-Händler, der wunderschöne Rehrücken anbot, aber auch Fasane und Wildhasen. Auch von Herrn Maier bezog ich dort tolle Süßwasserfische. Das musste man sich halt alles hartnäckig erarbeiten! Wenn ich auf den Viktualienmarkt kam, hieß es bei den Ständen meistens: „Da kommt wieder der G’spinnerte!“
Sie galten nicht erst in Ihrem legendären Dreisterner Aubergine als kompromissloser Produktfanatiker – schon als Küchenchef im Tantris pflanzten Sie bekanntlich Ihren eigenen Thymian an …
Witzigmann: Nicht nur Thymian. Im Tantris hatten wir natürlich auch unsere Becken für Süßwasserfische und Hummer! Wir hatten natürlich den großen Vorteil, dass Herr Eichbauer, der Besitzer des Tantris, ausgesprochen großzügig und risikofreudig war. Dadurch konnten wir uns die Ware auch aus Paris einfliegen lassen. Ich kannte die guten Adressen dort und bin selbst öfters hingefahren. Langsam hat es dann auch begonnen, dass man mit Kollegen Einkaufsgemeinschaften gründete und auch nach Italien fuhr. Das war alles so Mitte der 1970er, da hat diese Entwicklung an Fahrt aufgenommen. Ich würde schon sagen: München war damals die Keimzelle dieser kulinarischen Evolution. Carlo Wolf und George Kastner haben dieses Thema bekanntlich aufgegriffen und Rungis Express gegründet. Plötzlich hat dann jeder Zugang zu einer Entenbrust und Loup de mer bekommen, das war quasi die Demokratisierung der Spitzenküche.
Inwiefern hat sich denn seit den 70ern Ihrer Meinung nach das Lieferantennetz verändert?
Witzigmann: Da hat sich sehr viel getan – vor allem Österreich hat enorm viel weitergebracht, und das nicht nur im Fleisch- und Fischsektor, sondern auch, was Gemüse und Pilze betrifft. Früher habe ich gesagt: Das Produkt ist der Star in der Küche. Heute würde ich es ergänzen und sagen: Produkt und Produzent sind die Stars in der Küche! Der Hangar-7 mit seinem Gastkochkonzept beispielsweise hat maßgeblich dazu beigetragen, Menschen für Produzenten und Top-Produkte zu sensibilisieren, neue Gewohnheiten und Geschmäcker zu etablieren. Da haben Roland Trettl, und Martin Klein ganze Arbeit geleistet, neue Produkte und Produzenten ausfindig zu machen. In Spanien gab es einfach unwahrscheinlich gute Produkte! Dann ist Skandinavien nachgezogen, heute sind Asien und Südamerika stark im Kommen. Die Küche und Top-Produzenten sind heute viel stärker globalisiert als noch vor 40 Jahren, und durch diese Globalisierung der Küche wurden bei uns auch eine Menge neuer Produkte entdeckt. Das hat dazu geführt, dass sich heute jeder Produzent und Gastronom unweigerlich fragen muss: Wo stehe ich, wo will ich hin? Das kann und muss letztlich jeder für sich selbst entscheiden.
Wohin geht Ihrer Meinung nach die Reise für Top-Lieferanten in Deutschland und Österreich?
Witzigmann: Ich bin kein Wahrsager und möchte auch nicht im Kaffeesatz lesen. Aber die Lieferanten werden sich dem Geschmack und Essverhalten der Bevölkerung anpassen müssen. Im Moment sind die Vegetarier die Lieblinge der allgemeinen Wahrnehmung, das wird sich sicher wieder einmal ändern und dann werden andere Trends durchs Dorf getrieben. Der Erfolg der Top-Produzenten wird es sein, den Trends nicht nachzulaufen, sondern selbst welche zu kreieren. Ich kann mir gut vorstellen, dass Fleischlieferanten sich womöglich spezialisieren, dass es noch mehr Top-Qualität bei Fleisch geben wird. Und fest steht: Top-Qualität wird einfach immer Zukunft haben. Das hat meine Generation zur Genüge bewiesen. Klar, wir waren heillose Idealisten, aber letztlich hat es sich gelohnt.
Visionär
Er revolutionierte im Deutschland der 1970er-Jahre die gesamte Gastronomie – indem er Top-Produkte kompromisslos in den Mittelpunkt seiner Küche stellte. Warum der Jahrhundertkoch Eckart Witzigmann als Spinner vom Münchner Viktualienmarkt galt, im Tantris Hummer ihr eigenes Becken bekamen – und plötzlich jeder auf Entenbrust schwor.
Herr Witzigmann, wie hat das damals alles begonnen, als sich in Deutschland die ersten Top-Lieferantennetzwerke für die Spitzengastronomie etablierten?
Eckart Witzigmann: Beim Blick zurück muss man fair sein, es gab vor 50 Jahren auch gute Produzenten und Händler in Deutschland. Man denke zum Beispiel nur an die Fischhändler in Hamburg, aber auch in Düsseldorf. Dort gab es schon damals Steinbutt und Seezungen. Als ich nach Deutschland gekommen bin, habe ich durch meine intensiven Erfahrungen in Frankreich auch gewusst, was es an tollen Produkten gibt. Natürlich wollte ich dann eben eine Miéral-Taube auf der Speisekarte haben. Das Problem war: Für die Verwendung im Restaurant mussten die eben halbwegs die gleiche Größe haben. Das war für die Züchter am Anfang sehr schwierig, aber um im Restaurant immer halbwegs gleich große Tauben zu haben, wurde letztlich bei meinen bekannten Züchtern in Frankreich bestellt. Ich habe ja bei Paul Bocuse gelernt, dass es im Grunde genommen nur immer um das perfekte Produkt geht. Und er ist in Lyon jeden Tag zum Markt gefahren und hat sich das Beste vom Besten ausgesucht. Das Interessante ist, dass der Viktualienmarkt in München damals im Vergleich bereits ziemlich gut aufgestellt war, aber die Nachfrage war einfach nicht da. Mit der Zeit wurden unsere Gäste letztlich auch Kunden des Viktualienmarktes in München oder anderer großer Märkte in Deutschland.
Wenn ich auf den Viktualienmarkt kam, hieß es meistens: „Da kommt wieder der G’spinnerte!“
Eckart Witzigmann, einst verkanntes Produkt-Genie
Und Sie waren es dann, der wesentlich mitverantwortlich dafür war, diese Nachfrage durch ein für damalige Verhältnisse sehr mutiges Angebot erst kreiert zu haben. Wie sind Sie vorgegangen?
Witzigmann: Naja, ich war durch meine Zeit in Frankreich da schon erheblich vorbelastet und mir war klar, dass wir für unsere Mission in Deutschland ohne die Produkte aus Frankreich nicht weiterkommen. Aber parallel dazu habe ich mit viel Aufwand versucht, hier Produzenten zu finden und denen meine Anforderungen klarzumachen. Der Aufbau eines eigenen Netzwerkes hier war schwierig, aber nach heutiger Sicht erfolgreich. Mein damaliger Gemüselieferant beispielsweise, Walter Suter, gab mir damals den Kontakt zu Dieter Biesler, Küchenchef im Hotel Vier Jahreszeiten in München. Suters Vater wiederum war auch Lieferant von Alfred Walterspiel, und durch Zufall – über Otto Koch – habe ich dann den Herrn Baron Riederer kennengelernt, der mir sein legendäres Lamm lieferte, das unglaublich war. Auf dem Viktualienmarkt hatten wir außerdem unseren Wild-Händler, der wunderschöne Rehrücken anbot, aber auch Fasane und Wildhasen. Auch von Herrn Maier bezog ich dort tolle Süßwasserfische. Das musste man sich halt alles hartnäckig erarbeiten! Wenn ich auf den Viktualienmarkt kam, hieß es bei den Ständen meistens: „Da kommt wieder der G’spinnerte!“
Sie galten nicht erst in Ihrem legendären Dreisterner Aubergine als kompromissloser Produktfanatiker – schon als Küchenchef im Tantris pflanzten Sie bekanntlich Ihren eigenen Thymian an …
Witzigmann: Nicht nur Thymian. Im Tantris hatten wir natürlich auch unsere Becken für Süßwasserfische und Hummer! Wir hatten natürlich den großen Vorteil, dass Herr Eichbauer, der Besitzer des Tantris, ausgesprochen großzügig und risikofreudig war. Dadurch konnten wir uns die Ware auch aus Paris einfliegen lassen. Ich kannte die guten Adressen dort und bin selbst öfters hingefahren. Langsam hat es dann auch begonnen, dass man mit Kollegen Einkaufsgemeinschaften gründete und auch nach Italien fuhr. Das war alles so Mitte der 1970er, da hat diese Entwicklung an Fahrt aufgenommen. Ich würde schon sagen: München war damals die Keimzelle dieser kulinarischen Evolution. Carlo Wolf und George Kastner haben dieses Thema bekanntlich aufgegriffen und Rungis Express gegründet. Plötzlich hat dann jeder Zugang zu einer Entenbrust und Loup de mer bekommen, das war quasi die Demokratisierung der Spitzenküche.
Inwiefern hat sich denn seit den 70ern Ihrer Meinung nach das Lieferantennetz verändert?
Witzigmann: Da hat sich sehr viel getan – vor allem Österreich hat enorm viel weitergebracht, und das nicht nur im Fleisch- und Fischsektor, sondern auch, was Gemüse und Pilze betrifft. Früher habe ich gesagt: Das Produkt ist der Star in der Küche. Heute würde ich es ergänzen und sagen: Produkt und Produzent sind die Stars in der Küche! Der Hangar-7 mit seinem Gastkochkonzept beispielsweise hat maßgeblich dazu beigetragen, Menschen für Produzenten und Top-Produkte zu sensibilisieren, neue Gewohnheiten und Geschmäcker zu etablieren. Da haben Roland Trettl, und Martin Klein ganze Arbeit geleistet, neue Produkte und Produzenten ausfindig zu machen. In Spanien gab es einfach unwahrscheinlich gute Produkte! Dann ist Skandinavien nachgezogen, heute sind Asien und Südamerika stark im Kommen. Die Küche und Top-Produzenten sind heute viel stärker globalisiert als noch vor 40 Jahren, und durch diese Globalisierung der Küche wurden bei uns auch eine Menge neuer Produkte entdeckt. Das hat dazu geführt, dass sich heute jeder Produzent und Gastronom unweigerlich fragen muss: Wo stehe ich, wo will ich hin? Das kann und muss letztlich jeder für sich selbst entscheiden.
Wohin geht Ihrer Meinung nach die Reise für Top-Lieferanten in Deutschland und Österreich?
Witzigmann: Ich bin kein Wahrsager und möchte auch nicht im Kaffeesatz lesen. Aber die Lieferanten werden sich dem Geschmack und Essverhalten der Bevölkerung anpassen müssen. Im Moment sind die Vegetarier die Lieblinge der allgemeinen Wahrnehmung, das wird sich sicher wieder einmal ändern und dann werden andere Trends durchs Dorf getrieben. Der Erfolg der Top-Produzenten wird es sein, den Trends nicht nachzulaufen, sondern selbst welche zu kreieren. Ich kann mir gut vorstellen, dass Fleischlieferanten sich womöglich spezialisieren, dass es noch mehr Top-Qualität bei Fleisch geben wird. Und fest steht: Top-Qualität wird einfach immer Zukunft haben. Das hat meine Generation zur Genüge bewiesen. Klar, wir waren heillose Idealisten, aber letztlich hat es sich gelohnt.