Wie die Top-Lieferanten zum Herzstück der Gastronomie wurden
Wie oft haben wir gehört, dass es früher kein Olivenöl zu kaufen gab? Nur zwei Sorten Joghurt im Supermarkt? Und dass gutes Fleisch nur sonntags auf den Tisch kam? Wahrscheinlich nicht oft genug: Denn meist vergessen wir, wie beschwerlich es war, unsere Regale zu füllen, unsere Ansprüche zu befriedigen und damit auch Produkte zu beschaffen, um die außergewöhnlichsten Gerichte zu kreieren. Dafür haben die Besten ihrer Zunft, die Top-Lieferanten, hart gearbeitet. Wie alles begann? Begeben wir uns auf eine kleine kulinarische Zeitreise.
Stunde null
München, 1960: Die deutsche Küche fristet ein überschaubares Dasein. Denn sie dient vor allem einem Zweck: satt zu machen. Dass die Jahre der Entbehrung nach dem Krieg passé waren, zeigte sich wie so oft in der Geschichte an unserem Essverhalten. Kredenzt wurden Fleisch, Braten mit deftigen Saucen und Sahnetorten – und davon reichlich. Doch während die üppige Küche in Deutschland und in Österreich dem Magen meist mehr Freude bereitete als dem Gaumen, hatte das Produkt-Wettrüsten im Sinne der Haute Cuisine in Frankreich längst begonnen.
Unsere westlichen Nachbarn betrachteten das Kochen als Kunst: Essen, das war ein Zeitgeist, das war Kultur. Bald sollte sie überschwappen, erst nach Deutschland, dann nach Österreich – und mit ihr all die Produkte, die der deutschen Küchenrevolution erst den Weg ebneten. Ihre Reise wurde allerdings zu einer richtigen Odyssee.
Wie oft haben wir gehört, dass es früher kein Olivenöl zu kaufen gab? Nur zwei Sorten Joghurt im Supermarkt? Und dass gutes Fleisch nur sonntags auf den Tisch kam? Wahrscheinlich nicht oft genug: Denn meist vergessen wir, wie beschwerlich es war, unsere Regale zu füllen, unsere Ansprüche zu befriedigen und damit auch Produkte zu beschaffen, um die außergewöhnlichsten Gerichte zu kreieren. Dafür haben die Besten ihrer Zunft, die Top-Lieferanten, hart gearbeitet. Wie alles begann? Begeben wir uns auf eine kleine kulinarische Zeitreise.
Stunde null
München, 1960: Die deutsche Küche fristet ein überschaubares Dasein. Denn sie dient vor allem einem Zweck: satt zu machen. Dass die Jahre der Entbehrung nach dem Krieg passé waren, zeigte sich wie so oft in der Geschichte an unserem Essverhalten. Kredenzt wurden Fleisch, Braten mit deftigen Saucen und Sahnetorten – und davon reichlich. Doch während die üppige Küche in Deutschland und in Österreich dem Magen meist mehr Freude bereitete als dem Gaumen, hatte das Produkt-Wettrüsten im Sinne der Haute Cuisine in Frankreich längst begonnen.
Unsere westlichen Nachbarn betrachteten das Kochen als Kunst: Essen, das war ein Zeitgeist, das war Kultur. Bald sollte sie überschwappen, erst nach Deutschland, dann nach Österreich – und mit ihr all die Produkte, die der deutschen Küchenrevolution erst den Weg ebneten. Ihre Reise wurde allerdings zu einer richtigen Odyssee. Um sie zu bestreiten, ließen sich nicht nur Eckart Witzigmann & Co so einiges einfallen, auch Lieferanten machten oft das Unmögliche möglich.
Produkt und Produzent sind die Stars!
Eckart Witzigmann ergänzt sein Credo
Denn vom freien Warenverkehr wie wir ihn heute kennen, konnte man damals nur träumen. In den 60ern existierten weder die Europäische Union noch das Schengener Abkommen. Aus wirtschaftlicher Sicht war das natürlich wenig lukrativ. Und was keinen Gewinn bringt, will die Politik meist ändern. Deswegen taten sich bald auch die ersten Länder zusammen, um an einer gemeinsame Zollunion zu arbeiten. Konkret waren das Deutschland, Frankreich, Belgien, Italien, Luxemburg und die Niederlande. Die Vereinigung nannte sich Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) – sie war ein Vorgänger der Europäischen Union. Allerdings noch ohne Österreich: Das wurde erst viel später ein Teil des Bündnisses.
Für Lieferanten hieß das konkret: An den Grenzen gab es strenge Kontrollen, bestimmte Lebensmittel durften eigentlich gar nicht außer Landes gebracht werden. Und die Überführung so mancher Tierarten war bloß mit Tierarzt möglich.
Startschuss
Aber die besten Lieferanten kannten eben keine Hindernisse. Das bestätigt einer, der es wissen muss: „Es gab schon vor 50 Jahren gute Produzenten in Deutschland“, sagt Eckart Witzigmann. Der Viktualienmarkt in München hätte beispielsweise ein sehr gutes Angebot gehabt – von den gewünschten Produkten aber meist nicht genügend vorrätig. Jene, die wir heute ganz klar der gehobenen Küche zuordnen, mussten ihren Eingang in die Branche – und gleichzeitig in die Annalen der Kochgeschichte – erst finden.
Um sich die Dimensionen besser vorstellen zu können: Zu dieser Zeit galt zum Beispiel Crème fraîche als absolutes Luxusgut. Das Unternehmen C+C Pfeiffer etwa, das wir heute unter dem Namen Transgourmet kennen, hatte in den 60ern vor allem Trockenware in den Regalen: Es gab beispielsweise Mehl, Zucker, Reis und Waschmittel in Gastro-Größen zu kaufen. Fleisch, Fisch, Wein, Obst und Gemüse wurden bis in die späten 70er-Jahre von Spezialisten direkt an die Gastronomen geliefert. Den Weg dorthin ebneten Visionäre.
Die berühmteste Fahrgemeinschaft der 70er
Im Jahr 1971 – es soll ein schicksalsweisendes werden – beginnt Witzigmann die Vorbereitungen für das deutsche Küchenwunder. Er übernimmt das Ruder im Münchner Tantris und erobert mit seinem Kulinarik-Flaggschiff neue gastronomische Welten: die Nouvelle Cuisine. Die Reise dorthin ließ sich allerdings nicht ohne ein paar nächtliche Entdeckungsfahrten bestreiten.
Das stellen um diese Zeit auch Legenden wie Otto Koch, Fritz Keller und Hans-Peter Wodarz fest. So rufen sie kurzerhand die wohl berühmt-berüchtigtste Fahrgemeinschaft der 70er-Jahre ins Leben: die Köpfe voll mit wilden Ideen, die Kofferräume voll mit Hummern, Foies gras und Entenbrüsten. Von Paris nach München transportieren sie für die damalige Zeit wahre Exoten, um tags darauf die sensationellsten Menüs zu kredenzen. Die Revolutionäre sind damit schneller als die Grundprinzipien der Wirtschaft. Sie schaffen Angebot und Nachfrage selbst und öffnen der deutschen Gastronomie damit die Türen zur Internationalität.
Doch nicht nur der Anfang der 70er war turbulent. 1979 nimmt der deutsch-französische Handel richtig Fahrt auf. Der Auslöser ist ein Treffen zwischen Karl-Heinz Wolf und George Kastner. Kastner kann beschaffen, was Wolf in seinem Restaurant in Deutschland braucht: Ware vom berühmten Pariser Rungis-Markt. Gemeinsam gründen sie kurzerhand den Rungis Express. „Ich bin dann zwei Mal pro Woche nach Paris gefahren und habe eingekauft. Aus früheren Zeiten habe ich einige gekannt, die von der Idee begeistert waren. So sind wir mit ein paar Autos durch die Gegend gefahren, zuerst mit zwei, dann mit drei und so weiter“, erinnert sich Kastner.
Das Produkt ist unterwegs
Auch die Firma R&S Gourmets importierte zu dieser Zeit bereits Ware vom Rungis-Markt nach Österreich, darunter etwa Produkte wie Meeresfische, Flusskrebse, Tauben, Stubenküken und Gänsestopfleber. Französisches Geflügel zählte neben Meeresfischen und US-Beef zu den gefragtesten Lebensmitteln, bevor die EU uns viele Handelsgrenzen öffnete. Die ersten Schritte in die richtige Richtung waren zu dieser Zeit bereits getan: Die EWG wollte bis zum Ende der 70er eine gemeinsame Währungs- und Wirtschaftsunion schaffen.
Aber der Durchbruch gelingt dem Koch vor dem Politiker: 1979 bekommt Eckart Witzigmann von Michelin drei Sterne für seine Aubergine verliehen – heller schien bis zu diesem Zeitpunkt kein einziges Restaurant. Es wird zum Kulinarik-Leuchtturm, der Deutschland von nun an den Weg weist.
Auf der Jagd nach den besten Produkten
Mit den neuen Richtungsgebern ändern sich auch die Ansprüche an die Produkte – und damit jene an ihre Lieferanten. „Mit der Zeit ist die Branche unzufrieden geworden und wollte andere Produkte sehen. Darum habe ich begonnen, auf der Welt herumzureisen. Das war ja früher alles viel komplizierter. Heute kann jeder Depp das Internet aufmachen und hat 95 Leute, die was anbieten. Ich musste das alles selbst organisieren und Produkte finden, die man noch nicht kannte“, erzählt George Kastner vom analogen Zeitalter und den Anfängen des Foodhuntings.
Aber Foodhunting und die großen Reisen waren gar nicht immer nötig. Manchmal rannte das beste Produkt auch direkt vor der eigenen Haustür. So hat etwa Kröswang in den 80er-Jahren noch frisches Geflügel verkauft, das die Unternehmer auf dem Bauernhof selbst gezüchtet haben. Aus dieser Geflügelzucht entsteht später der Großhandel, wie wir ihn heute kennen.
Den Unternehmen in die Hand spielte ein anderes historisches Ereignis: 1985 tritt das erste Schengen-Abkommen der Geschichte in Kraft. Damit ist der Grundstein für den europäischen Binnenmarkt gelegt.
Mit der Zeit ist die Branche unzufrieden geworden und wollte andere Produkte sehen.
George Kastner führt den Rungis Express in neue Sphären
Dass sich bei Lieferanten und Händlern einiges getan hatte, konnte man bald nicht nur schmecken, sondern auch schwarz auf weiß in Flyern lesen. Jene des heutigen C+C-Vollsortimentanbieters AGM priesen im Jahr 1987 beispielsweise die in den 70ern noch so heiß begehrte französische Crème frâiche für das Weihnachtsfest an. Außerdem gab es im Abholgroßmarkt bereits Gänse „frisch, ohne Darm, mit Leber“ zu kaufen. Allerdings gibt es für Österreich noch immer Einschränkungen: Diese betreffen vor allem Obst, Gemüse und Käse.
Neue Handelswege
Andere Lebensmittel zu importieren war hingegen auch hierzulande gang und gäbe, gleichzeitig aber mit strengen Kontrollen und viel Bürokratie verbunden. Ferkel etwa kamen in den frühen 90ern meist aus Frankreich. Zumindest bis sich im Jahr 1993 ein gewisser Herr Grillmair der Milchferkel-Produktion verschrieb. Den heimischen Markt eroberte sein Unternehmen Grilly mit den selbstgezüchteten Kräuterferkeln im Handumdrehen. Das ändert sich auch nicht, als Österreich im Jahr 1995 der Europäischen Union beitritt.
Davon profitieren viele: Die Firma Wiesbauer, die zu dieser Zeit bereits seit mehr als 60 Jahren den österreichischen Markt belieferte, kann nun direkt nach Deutschland exportieren – und dort auch einen eigenen Vertrieb aufbauen. Die Vorreiter wissen, dass ein internationales Netzwerk das A und O der Branche ist.
Ein Unternehmen, das von seinem des Öfteren Gebrauch macht, ist die Firma Albers. Noch in den 90ern importiert sie als einer der ersten Lieferanten Straußenfleisch. Der richtige Coup gelingt aber 20 Jahre später mit dem japanischen Kobe-Wagyu-Rind, das Albers 2013 als Erster nach Deutschland bringt. Gleich wie damals an der deutsch-französischen Grenze gibt es bei solch exklusiven Lieferungen auch heute einige Richtlinien zu beachten. So müssen im Ausland etwa Produzenten gefunden werden, die von der EU zugelassen sind. Auch Mengen und Cuts sind auf anderen Kontinenten meist unterschiedlich – genauso wie es früher mit dem deutschen Nachbarland Frankreich der Fall war.
Zurück zum Ursprung
Während es im Großen und Ganzen trotz allen Hürden immer einfacher wird, Ware zu importieren, kristallisiert sich in den vergangenen Jahren zudem ein gegensätzlicher Trend heraus: Regionalität. Den Konsumenten wird es zunehmends wichtiger, die Herkunft ihres Produktes zu kennen – und Transportwege so kurz wie möglich zu halten. War der österreichische Produzent Nannerl damit im Gründungsjahr 1975, als er als klassische Garagenfirma aus der Taufe gehoben wurde, noch Vorreiter, sieht er sich heute als Missionär: „Wir leben Regionalität“, sagt Geschäftsführer Markus Pfarrhofer. 95 Prozent der Artikel, die er verkauft, werden in Österreich produziert.
Heute geht es aber nicht nur um Regionalität, unsere Top-Lieferanten stehen ganz neuen Herausforderungen gegenüber. Denn mit der Zeit haben sich ihre Aufgabengebiete erweitert. Einzig das beste Produkt zu beschaffen, reicht oft nicht mehr aus. Es geht um Geschwindigkeit, um ständige Verfügbarkeit und um Convenience. Das hat auch die Firma Aumaerk erkannt. Obwohl erst im Jahr 2015 gegründet, gilt sie bereits als Spezialist für Schweinebauch-Veredelung.
Noch lange nicht am Ziel
Wiederum andere konzentrieren sich nun voll auf die Digitalisierung. Den Lieferanten helfen Apps, Algorithmen und automatisierte Bestellvorgänge. So haben die Israelis Alon Chen und Eyal Gaon die Plattform Tastewise entwickelt. Sie berechnet Foodtrends beinahe in Echtzeit. Das macht Tastewise mithilfe von Daten: Es analysiert Menüs, Online-Rezepte und Einzelprodukte, aber auch öffentliche Posts und Diskussionen in den sozialen Medien.
24 Stunden am Tag verfügbar sollen in der Zukunft aber nicht nur Informationen, sondern auch Produkte sein. Mobile Supermärkte, die ohne Kassierer auskommen, weil Kunden per App bezahlen, sind dabei nur der Anfang. Einen Schritt weiter hat auch C+C-Händler Metro gedacht. Mit seiner neuen Marke Smart & Easy soll alles intelligenter und einfacher werden. Gehen alle Unternehmerträume in Erfüllung, werden wir irgendwann sogar einzelne Lebensmittel digitalisieren können. So weiß das Küchengerät in Zukunft, welches Produkt es gerade zur Vollendung bringen soll – und wie ihm das am besten gelingt. Kurzum: Die Küchenmaschine wird künstlich intelligent.
Wir sehen: Unsere Lieferanten sind längst in der Zukunft angekommen. Um zu begreifen, wie viel tatsächlich passiert ist, werfen wir nochmal einen kurzen Blick in die Vergangenheit, in das Jahr 1950: Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg ist es Lieferanten unmöglich, eine Bestellung per Telefon oder Fax aufzugeben. Um zwei äußerst gefragte Produkte zu besorgen, schickte die Firma Kastner deswegen einen LKW durch das halbe Land. Es ging um Salz und Haferflocken. Das Salz kam direkt von den Salinen in Ebensee, die Haferflocken holte das Unternehmen aus Wels.
Heute bekommen wir Hummer aus der Bretagne, Wagyu aus Japan und Crème fraîche aus dem Supermarkt. Für die Entwicklungen findet Eckart Witzigmann mehr als passende Worte: „Früher habe ich gesagt: Das Produkt ist der Star in der Küche. Heute würde ich es ergänzen und sagen: Produkt und Produzent sind die Stars in der Küche!“