Jahresrückblick: Das hat die Gastronomie und Hotellerie 2019 bewegt
Die internationale Spitzengastronomie blickt ohne Zweifel auf ein bewegtes Jahr zurück. Angefangen bei den teils radikalen Umbrüchen der prestigeträchtigen Ranking-Institutionen wie Michelin oder The World’s 50 Best Restaurants über Abschiede von Spitzenköchen und Topgastronomen wie Gaggan Anand oder Will Guidara bis hin zu den Vapiano-Pleiten und Persönlichkeiten, deren Ableben jedem Branchenkenner Tränen in die Augen trieben, blieb im Gastro-Jahr 2019 scheinbar kein Stein auf dem anderen. Zeit also, das Jahr in Form eines süffigen Jahresrückblicks kurz Revue passieren zu lassen – und sich einmal mehr zu wundern, wie schnell auch 2019 vergangen ist.
Ranking-Institutionen
Ob Michelin, Gault Millau, die World’s 50 Best Restaurants oder auch die World Restaurant Awards – in nahezu keiner der prestigeträchtigen Ranking-Institutionen blieb ein Stein auf dem anderen. Bereits ab Januar überschlugen sich diesbezüglich die Ereignisse. Die World’s-50-Best-Liste änderte ihr Bewertungssystem, in dem jedes Restaurant, das bis dahin die Liste angeführt hat, nicht wie bisher weiter in der Liste vorkommen darf, sondern in einer Art „Hall of Fame“-Liste, genauer gesagt: der sogenannten „Best of the Best“-Liste, aufscheinen muss. Auch wurde die Zusammensetzung des Abstimmungsgremiums geändert. Denn seither besteht dieses Gremium zu 50 Prozent aus Frauen und zu 50 Prozent aus Männern.
Das französische Enfant terrible Marc Veyrat war über den Verlust seines dritten Sterns so entrüstet, dass es den Guide Michelin verklagte.
Aber auch für Michelin war es kein allzu gemütliches Jahr. Die Verwunderung über den Verlust von Marc Haeberlins dritten Stern war groß und warf nicht zuletzt die Frage nach einer neuen, etwas unberechenbaren Linie bei Michelin unter der neuen Leitung des Internationalen Direktors Gwendal Poullennec auf. Geradezu auf Kriegsfuß mit der scharlachroten Küchenbibel befindet sich seither auch der französische Kochexzentriker Marc Veyrat, der ob des Verlusts seines dritten Sterns Michelin verklagt hat und sich mit dem prestigeträchtigen Gastronomieführer ein mediales Feuergefecht liefert.
Was die neugegründeten World Restaurant Awards betrifft, ist die Sache relativ einfach: Es hat wohl doch nicht so funktioniert. 2020 wird es also keine Verleihung mehr geben. Stattdessen planen die Organisatoren der Awards Joel Warwick und Andrea Petrini ein neues TV-Format.
Bei Gault Millau brodelte es hingegen sowohl international als auch in den heimischen österreichischen Gefilden. Um international breiter und effizienter aufgestellt zu sein und die Digitalisierung voranzutreiben, brauchte der Gault Millau neues Kapital. Russische Investoren, die von Vladislav Skvortsov vertreten sein werden, nahmen sich dieser Aufgabe an. Das teilte damals der bisherige Inhaber des renommierten Restaurantführers, Côme de Chérisey, am 9. Januar mit. „Ich habe 100 Prozent der Aktien an eine russische Familie verkauft,“ so de Chérisey. Er hatte während sieben Jahren als Direktor und Inhaber die Geschicke des internationalen Restaurantführers geleitet.
In Österreich hingegen ließ die Nachricht aufhorchen, dass nach vier Jahrzehnten der Gault Millau Österreich zum ersten Mal fünf Hauben vergibt – und damit nicht nur dem französischen Vorbild folgt, sondern auch endgültig internationale Einheitlichkeit im Bewertungssystem erreicht. Ende November schließlich der letzte Paukenschlag – wenn auch „nur“ in Deutschland. Wie der ZS Verlag am 27. November auf der Facebookseite von Gault Millau Deutschland bekannt gab, beendete er die Zusammenarbeit mit dem Gourmetführer und widmet sich seither stattdessen einem neuen Projekt, und zwar gemeinsam mit Gusto.
Wer hat dichtgemacht? Wer ist gegangen?
Aber auch Abschiede – und damit Neuanfänge – prägten das Geschehen der internationalen Spitzengastronomie im Jahr 2019. Hieß es im Januar noch, dass das Eleven-Madison-Dreamteam Daniel Humm und Will Guidara ein neues Restaurant in London eröffnen, erschütterte uns Ende Juli die Nachricht, dass das New Yorker Duo-Infernale seine Zusammenarbeit beendet. „Es war ein unglaublicher Lauf, und ich glaube, wir haben beide sehr viel voneinander gelernt, aber wir haben uns auch in unterschiedliche Richtungen entwickelt“, erklärte Humm in einem gemeinsamen Interview mit der New York Times den gewaltigen Schritt.
Das Gastro-Traumpaar Daniel Humm und Will Guidara geht getrennte Wege.
Ein ähnliches Erdbeben löste die Nachricht von Gaggan Anand aus. Im Juli dieses Jahres kündigte der indische Küchengott als Angestellter in seinem Restaurant Gaggan – das auf Platz 1 der Asia’s 50 Best Restaurants lag und auf Platz 4 des weltweiten Rankings rangierte – aufgrund von Differenzen mit seinen Geschäftspartnern – und das einen Tag vor der World’s-50-Best-Restaurants-Verleihung. Inzwischen eröffnete Gaggan am 1. November sein neues Restaurant in Bangkok, für das er die meisten Mitarbeiter seines vorigen Gourmettempels übernahm.
Aus Deutschland hingegen erreichte uns nun die offizielle Nachricht, dass die lebende Tantris-Legende Hans Haas den altehrwürdigen Gourmettempel verlassen und in den wohlverdienten Ruhestand gehen wird. Wer 2021 das schwere Erbe von Hans Haas antreten wird, steht noch nicht fest – zumindest offiziell. Diese Bombe lässt die Familie Eichbauer wohl erst Ende 2020 platzen, wenn Hans Haas dann im Alter von 63 Jahren endgültig dem Tantris-Pass adieu sagt.
Wer 2021 das schwere Erbe von Hans Haas antreten wird, steht noch nicht fest – zumindest offiziell. Diese Bombe lässt die Familie Eichbauer wohl erst Ende 2020 platzen, wenn Hans Haas dann im Alter von 63 Jahren endgültig dem Tantris-Pass adieu sagt.
Und wenn wir schon in München sind: Wie im April bekannt wurde, verließ Ausnahmepâtissier Christian Hümbs nach zwei Jahren den 3-Sterne-Tempel Atelier, für den er zusammen mit Ausnahmekoch Jan Hartwig im Februar 2018 unglaubliche drei Sterne geholt hatte. Damit traten die beiden in die Fußstapfen von King Eckart Witzigmann, der als letzter Koch in München die 3-Sterne-Plakette an seine Aubergine nageln durfte. Nach siebenmonatiger Schaffenspause war Deutschlands Kult-Pâtissier endlich wieder back in Business – und zwar im Swiss Deluxe Hotel Dolder Grand in Zürich.
Bleiben wir gleich in München: Bardia Torabi, einer der erfolgreichsten Hotelmanager Deutschlands, verließ im Oktober das Roomers Hotel. Der 42-Jährige hatte im März 2016 die Leitung des Münchner Tophotels übernommen und begleitete damit das Pre-Opening und die darauffolgende Eröffnung des dritten Roomers der Gekko Group. Den Ausnahmehotelier zog es nach Doha, genauer: ins dortige Ritz Carlton Sharq Village. Seinen Posten angetreten hat er am 1. November.
Werfen wir einen Blick in den Hohen Norden: Von dort erreichte uns die Nachricht, dass der 35-jährige Herdmagier Magnus Nilsson nach ziemlich genau zehn Jahren das Fäviken schließt – jenes Restaurant also, das unter seiner Ägide nicht nur mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichnet wurde, sondern es im Jahr 2014 auch auf Platz 19 der World’s 50 Best Restaurants geschafft hat. Der Abend des 14. Dezembers war der letzte Service-Tag des legendären Gourmettempels. „Ich schließe das Restaurant nicht, weil ich damit unzufrieden bin. Sondern weil ich damit fertig bin. Weil ich etwas anderes machen will“, so Nilsson auf Instagram. Momentan dürfte er seine wohlverdiente Freizeit genießen und – wer weiß – auch schon an neuen Plänen schmieden.
Gleich zu Beginn des Jahres überraschte außerdem, dass der Sterne- und TV-Koch Johann Lafer sein auf der Stromburg beheimatetes Sterne-Restaurant Le Val d’Or schließt, um ein neues, bodenständigeres Restaurant aus der Taufe zu heben. Im März eröffnete Lafer dann seine neue Wirkungsstätte in seiner Stromburg. Weg von der Sternegastronomie wollte er damit. Nur zwei Monate später verabschiedete er sich nun aber gleich von seinem ganzen Schloss. Seine Zukunft sieht er aber weiterhin gelassen. Auf dem Programm stehen zuallererst seine Kochschule in Guldental, die Entwicklung neuer Rezepte und Projekte für Online-Kochkurse. Auch Nachwuchs-Gastronomen möchte er fördern. Ob er wieder ein neues Restaurant eröffnet, lässt er offen: „Wer weiß, was noch kommt…“
Johann Lafer nimmt sich jetzt erst einmal eine Auszeit.
In Berlin sorgte der Abschied Arne Ankers von Pauly Saal für Tränen. Der ehemalige Schüler von Sergio Herman und Nick Bril war seit 2015 Küchenchef des Gourmetrestaurants in Berlin Mitte und hatte dafür einen Stern erkocht.
Der – zumindest vorerst – letzte Paukenschlag dieses Jahres kam unerwartet am 5. Dezember: Der österreichische Küchenmozart Harald Irka verlässt die Saziani Stub’n im steirischen Straden. Irka wird in Tom Riederers Pfarrhof wechseln. Das Herd-Wunderkind tut sich nun mit einem Mann zusammen, der sich in der Steiermark sein eigenes kulinarisches Refugium aufgebaut hat. „Harald und ich verstehen uns schon seit einigen Jahren gut“, so Riederer. Er könne gar nicht sagen, wie es zur Anbahnung der Zusammenarbeit gekommen ist. „Wir haben uns zusammengesetzt und es hat einfach gut gepasst.“
Harald Irka verlässt die Saziani Stub’n und wechselt zu Tom Riederers Pfarrhof in die Südsteiermark.
Riederer selbst wird sich auf seine Rolle als Gastgeber und Sommelier konzentrieren, während Irka, wie Riederer sagt, „seine Geschichten“ machen wird. Was die Küchenlinie betrifft, möchte Riederer noch nicht allzu viel verraten. „Wir nehmen uns jetzt einmal eine Probezeit für Jänner, wir müssen uns ja erst einmal konstituieren. Nichts überstürzen.“ Das dürfte wohl auch zur Folge haben, dass Harald Irka die Saziani Stub’n und das Saziani G’wölb verlässt. Letzteres hatte mit 16 Punkten – und damit drei Hauben – gerade einen fulminanten Einstieg in den Gault Millau hingelegt.
Vapiano und Jamie Oliver: Warum funktionierte es nicht?
Vor allem für alteingesessene Gastronomie-Ketten war das Jahr 2019 eine betriebswirtschaftliche Herausforderung ungeahnten Ausmaßes. Das wurde unter anderem am kränklichen Dasein der Restaurantkette Vapiano sichtbar. Schuldenberge, die in die Höhe klettern, und Umsätze, die gnadenlos sinken. So ließ sich über das gesamte Jahr gesehen die betriebswirtschaftliche Entwicklung der angeschlagenen Restaurantkette zusammenfassen. Im August folgte der nächste Coup: Vapianos CEO, Conelius Everke, trat überraschend zurück. Wie diverse Medien berichteten, erfolgte die Kündigung aus „persönlichen Gründen“. Der Vertrag werde „einvernehmlich“ per 31. August beendet. Erstaunlich: Es übernahm die damalige Aufsichtsratsvorsitzende Vanessa Hall. Ob sie die Kette im Jahr 2020 aus der Misere bringen wird, wird sich weisen.
Vapiano schreibt weiterhin rote Zahlen. Bleibt es 2020 so?
Ähnlich turbulent ging es beim englischen Megakoch Jamie Oliver zu. Wie sich im Mai herausstellte, war die (betriebs)wirtschaftliche Lage seines Gastro-Imperiums desaströs. 25 Betriebe sollten unter Gläubigerschutz gestellt werden – wobei die Unternehmensberatungsfirma KPMG diese Betriebe weiterhin krisenverwaltet. „Ich bin zutiefst traurig über dieses Ergebnis und möchte allen Mitarbeitern und unseren Lieferanten danken, die seit über einem Jahrzehnt ihr Herz und ihre Seele in dieses Geschäft gesteckt haben. Ich weiß, wie schwierig dies für alle Betroffenen ist“, sagte der Starkoch dem englischen „Guardian“. Bei den 25 Betrieben handelt es sich um die 23 Standorte von Olivers Restaurantkette Jamie’s Italian sowie seine Restaurants Fifteen und Barbecoa in London. Die Restaurants außerhalb Großbritanniens – gut zwei Dutzend – werden als Franchise-Unternehmen geführt und waren damit von der Pleite nicht betroffen.
Die Verstorbenen 2019
So außergewöhnlich das Jahr 2019 für unsere Branche auch war – so ganz ohne Todesfälle kam es leider dann doch nicht aus. Im Februar ereilte uns die traurige Nachricht von Dirk Kowalkes Tod. Der Hamburger Kult-Gastronom und stets charmante Gastgeber verstarb im Alter von 71 Jahren nach langem Krebsleiden. Promis wie Angela Merkel, Helmut Schmidt, Uwe Seeler oder Otto Walkes gingen in Kowalkes Fischereihafen-Restaurant genauso ein und aus wie Hamburgs Normalos. Das Erfolgsrezept des Ausnahme-Gastronomen? Hohe Produktqualität, ein perfektes Preis-Leistungsverhältnis, eine freundliche Atmosphäre, aufmerksamer Service und vor allem seine Familie. Mit Rüdiger Kowalke verliert die Branche einen ehrlichen, leidenschaftlichen und vor allem authentischen Repräsentanten gelebter Gastfreundschaft.
Am 23. September verstarb außerdem der US-amerikanische TV-Koch Carl Ruiz überraschend im Alter von nur 44 Jahren. Ruiz war lange Zeit auf dem US-Sender Food Network in verschiedenen Shows als TV-Koch und Jurymitglied zu sehen, etwa mit Fieri in dessen Serie „Diners, Drive-Ins and Dives“. Erst vor drei Monaten hatte der kubanischstämmige Amerikaner sein erstes eigenes Restaurant La Cubana in New York eröffnet.
Die Hotellerie verlor in diesem Jahr einen ihrer ganz Großen. Nur wenige Tage vor Carl Ruiz verstarb der Sohn des legendären Hilton-Hotelgründers Conrad Hilton, Barron Hilton, im Alter von 91 Jahren. Als zweiter Sohn Conrad Hiltons, der 1919 die Hilton-Hotelkette gegründet hatte, übernahm er das Unternehmen im Jahr 1966. Bereits 1954 war Barron Hilton zum Vizepräsidenten der Hilton Hotels Corporation gewählt worden. Bekanntlich wurde die Hilton-Hotelkette im Jahr 2007 an den Investor Blackstone Group verkauft. „Ich bin zutiefst erschüttert über den Verlust meines Großvaters Barron Hilton“, so Hiltons Enkeltochter Paris Hilton auf Instagram. „Er war eine Legende, ein Visionär, brillant, gutaussehend, gütig und lebte ein Leben voller Errungenschaften und Abenteuer. Seit ich ein kleines Mädchen war, habe ich zu ihm als Businessman aufgeschaut. Ich bin unglaublich dankbar, einen so unglaublichen Mentor gehabt zu haben.“