Marc Ciunis: Der Kapitän

Vom Aushilfskellner auf Sylt zum Vordenker der Hamburger Gastronomie: Wie Marc Ciunis Helmut Kohl Cocktails einschenkte, mit 700.000 D-Mark in der Kreide stand – und schließlich die Hamburger Hotellerie revolutionierte.
Mai 13, 2019 | Text: Lucas Palm | Fotos: Beigestellt, Hotel Tortue

Die neueste Eroberung

Marc Ciunis ist aus der Stadt an der Elbe nicht mehr wegzudenken. Seine typisch hanseatische Abenteuerlust, die mit klarer Zielstrebigkeit ihre Segel hisst, machte aus dem gelernten Kellner einen der kursbestimmenden Kapitäne auf den unberechenbaren Meeren der Gastronomie und Hotellerie. Zur Eröffnung seiner neuesten Eroberung – des Hotel Tortue in den Hamburger Stadthöfen, das er mit zwei Partnern aus der Immobilienbranche und dem Hamburger Gastronomen Carsten von der Heide eröffnete – kamen im Juni 2018 über 800 Menschen, von der regen Berichterstattung deutscher Medien ganz zu schweigen. Kurz: Marc Ciunis hat es geschafft. Und das trotz – oder gerade wegen – eines Schiffbruchs, bei dem er vollends unterzugehen drohte.
Da ist für mich natürlich erst einmal die Welt zusammengebrochen.
In seiner Jugend hätte Ciunis alles für eine Kochausbildung gegeben 
Angefangen hat alles mit einem Versprechen. Und zwar von der Hamburger Gastro-Koryphäe Armin Scherrer, in dessen Landhaus Scherrer sich der junge Marc für eine Lehrstelle zum Koch beworben hatte. Das Problem: Scherrer brauchte einen Kellnerlehrling. „Mach doch zuerst die Kellnerausbildung“, empfahl ihm Scherrer, „dann kannst du gleich danach die Kochausbildung machen, da kennst du dann auch gleich die Probleme zwischen Schwarz und Weiß.“ Die Probleme zwischen den beiden Brigaden lernte Ciunis, wie sollte es anders sein, ziemlich schnell kennen. Doch bis in die Küche sollte er es nicht schaffen.
Dabei hatte Scherrer sein Versprechen nicht einmal gebrochen, viel schlimmer noch: Der Hamburger Patron war unerwartet verstorben – und weder sein Küchenchef, noch seine Witwe wussten von seinem Versprechen. Die Kochlehrstellen waren alle bereits vergeben. „Da ist für mich natürlich erst einmal die Welt zusammengebrochen“, erinnert sich Ciunis.
csm_rp236-ciunis-header1_015144d5feEx-East-Hotel-Macher Marc Ciunis führt seit Juni 2018 die gastronomischen Geschicke des Designhotels Tortue in den Hamburger Stadthöfen.

Die neueste Eroberung

Marc Ciunis ist aus der Stadt an der Elbe nicht mehr wegzudenken. Seine typisch hanseatische Abenteuerlust, die mit klarer Zielstrebigkeit ihre Segel hisst, machte aus dem gelernten Kellner einen der kursbestimmenden Kapitäne auf den unberechenbaren Meeren der Gastronomie und Hotellerie. Zur Eröffnung seiner neuesten Eroberung – des Hotel Tortue in den Hamburger Stadthöfen, das er mit zwei Partnern aus der Immobilienbranche und dem Hamburger Gastronomen Carsten von der Heide eröffnete – kamen im Juni 2018 über 800 Menschen, von der regen Berichterstattung deutscher Medien ganz zu schweigen. Kurz: Marc Ciunis hat es geschafft. Und das trotz – oder gerade wegen – eines Schiffbruchs, bei dem er vollends unterzugehen drohte.
Da ist für mich natürlich erst einmal die Welt zusammengebrochen.
In seiner Jugend hätte Ciunis alles für eine Kochausbildung gegeben 
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Ex-East-Hotel-Macher Marc Ciunis führt seit Juni 2018 die gastronomischen Geschicke des Designhotels Tortue in den Hamburger Stadthöfen.
Angefangen hat alles mit einem Versprechen. Und zwar von der Hamburger Gastro-Koryphäe Armin Scherrer, in dessen Landhaus Scherrer sich der junge Marc für eine Lehrstelle zum Koch beworben hatte. Das Problem: Scherrer brauchte einen Kellnerlehrling. „Mach doch zuerst die Kellnerausbildung“, empfahl ihm Scherrer, „dann kannst du gleich danach die Kochausbildung machen, da kennst du dann auch gleich die Probleme zwischen Schwarz und Weiß.“ Die Probleme zwischen den beiden Brigaden lernte Ciunis, wie sollte es anders sein, ziemlich schnell kennen. Doch bis in die Küche sollte er es nicht schaffen.
Dabei hatte Scherrer sein Versprechen nicht einmal gebrochen, viel schlimmer noch: Der Hamburger Patron war unerwartet verstorben – und weder sein Küchenchef, noch seine Witwe wussten von seinem Versprechen. Die Kochlehrstellen waren alle bereits vergeben. „Da ist für mich natürlich erst einmal die Welt zusammengebrochen“, erinnert sich Ciunis.

Beim großen Karlchen

Doch wie so oft bringt eine zusammenbrechende Welt eine neue hervor. In Ciunis’ Fall war es ein unerwartetes Angebot aus Sylt. Genauer gesagt aus Kampen – und zwar von keinem Geringeren als dem legendären Karl „Karlchen“ Rosenzweig, dem damals bekanntesten Barkeeper Deutschlands. Die Zeit an der Seite der deutschen Barkeeper-Koryphäe dauerte zwar nicht lange, war aber umso lehrreicher. Auch, weil von den drei Saisonen, in denen Ciunis für „Karlchen“ arbeitete, nur zwei in Kampen stattfanden. Die dritte Saison arbeitete Ciunis in Bonn. Dort hatte Rosenzweig die Bar des Presseclubs übernommen.
Bonn war damals – wir schreiben die Jahre 1983 und 1984 – die Hauptstadt Westdeutschlands. Das bedeutet, der junge, aufstrebende Barkeeper Marc Ciunis bediente dort vom damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl abwärts das gesamte Who’s who der deutschen Bundesrepublik. „Eine sehr spannende Zeit“, erinnert sich Ciunis, in dem der verschwiegene Barkeeper durchscheint, der die Geheimnisse seiner Gäste unbestechlich für sich behält.
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Das Restaurant Jin Gui ist Hamburgs neue Pilgerstätte für Liebhaber asiatisch-chinesischer Küche. Das Interieur stammt von der international renommierten Designerin Joyce Wang.

Alles, um Koch zu werden

Doch irgendwie zog es ihn wieder zurück nach Sylt. Nicht aus Lust und Laune, nein, sondern weil Ciunis weiterhin Koch werden wollte. In Karl Nissen-Hunding fand er nicht nur einen Partner, sondern packte mit ihm auch ein Projekt an, mit dem es endlich klappen sollte mit der Kochausbildung: das Samoa Seepferdchen, eine Strandbude vor der Sansibar. Aus dem bescheidenen Kleinbetrieb, bei dem Bratkartoffeln das kulinarische Highlight waren, machten sie ein Fine-Dining-Restaurant, in dem der zukünftige Chef Marc Ciunis die Löffel schwingen sollte.
„Da habe ich dann endlich meine Kochlehre angefangen“, erinnert sich Ciunis schmunzelnd. Doch nach zwei Saisonen war auch hier wieder Schluss. „Ich sollte da als Alleinkoch arbeiten, zu einem Lehrlingsgehalt. Aber das entsprach nicht meinen Vorstellungen, weil ich etwas lernen wollte. Das hat natürlich nicht hingehauen.“

Das große Tief

Für den desillusionierten Ciunis ging es erst einmal zurück nach Hamburg. Ausgerechnet mit einer gesunden Portion Pragmatismus, ganz ohne seinem Kochtraum hinterherzujagen, begann der Unbeugsame plötzlich, erste Erfolge einzufahren. Als Aushilfsbarkeeper fing er beim damaligen Cocktail-König Hubert Sterzinger an, der Ende der 80er-Jahre Hamburgs Gastro-Szene ordentlich aufmischte. Das Meyer Lansky’s am Pinnasberg war damals eine sehr bekannte und gut laufende Cocktailbar.
Ciusis begann als Aushilfsbarkeeper. Bereits nach sechs Wochen wurde er Betriebsleiter und Barchef in Sterzingers zweitem Laden, dem Hemingway, den dieser parallel zum Meyer Lansky’s eröffnet hatte. Das Geschäft florierte. Viele weitere Läden kamen hinzu. Ciunis wurde schließlich Bereichsleiter. „Ich war jetzt Sterzingers rechte Hand, hab die ganzen Mitarbeiter eingestellt, die Karte geschrieben, die Konzepte mit erstellt.“
Ich stand da, war 24 und hatte 700.000 Mark Schulden an der Hacke.
Marc Ciunis über das Ende seines verhängnisvollen Getränkegroßhandels 
Im Nachhinein scheint es, als hätte dieser geschäftstüchtige Höhenflug die beiden Parade-Barkeeper doch etwas übermütig gemacht. Denn ausgerechnet in dieser Zeit erlebte Ciunis seinen eingangs erwähnten Schiffbruch, der ihm teuer zu stehen kam. Die Idee zu ihrem neuen – und letzten – Projekt bestand in einem Getränkefachgroßhandel. „Sterzinger und Partner“ hieß das neue Machwerk. Das Konzept: ein 24-Stunden-Nonstop-Lieferdienst von Getränken – ohne Mindestabnahmemenge.
Das hieß, dass man für eine einzelne Flasche Prosecco bis ans andere Ende der Stadt fahren konnte, um sie dort unter dem Marktpreis zu verkaufen. „Nach neun Monaten sind wir damit fürchterlich gegen die Wand gefahren. Und ich stand da, war 24 und hatte 700.000 Mark Schulden an der Hacke. Das war das große Tief.“

Savoir-vivre in Hamburg

Wie Menschen mit einer Krise umgehen, verrät nicht selten etwas Grundlegendes über ihren Charakter. Marc Ciunis jedenfalls machte das, wofür sich wohl die wenigsten entschieden hätten: Er machte sich selbstständig. Und das ausgerechnet mit einer Cocktailbar. Im Hamburger Stadtteil Eppendorf eröffnete Ciunis das Szenario. 35 Quadratmeter Gastfläche. „Nach der großen Aufgabe mit 400 Mann an Personal, die ich als Betriebsleiter für Sterzinger gehabt hatte, stand ich jetzt wieder allein hinterm Tresen. Ich hab einfach wieder ganz klein und von vorne angefangen.“
Vor allem aber hat Ciunis durch das Fiasko mit dem Getränkefachgroßhandel eines gelernt, was ihn endgültig auf Kurs bringen sollte. Denn: „Seither bin ich ein Mensch, der sagt: Schuster, bleib bei deinen Leisten! Ich mach Gastronomie, das ist das, was ich kann. Mit den anderen Geschichten – lass mich da mal an Land“, so einmal mehr der Hanseat in ihm, nicht ohne hinzuzufügen: „Jetzt abgesehen von der Hotellerie.“ Hotellerie? Ja. Denn diesmal machte er sich nicht nur mit seiner zielstrebigen Abenteuerlust auf zu neuen Ufern, sondern wusste auch, was es brauchte, um nicht noch einmal Schiffbruch zu erleiden.

Der Tagesdurchlauf läuft

Als Ciunis gefragt wurde, ob er mit an Bord des East Hotels kommen würde, nahm er die Herausforderung nur unter der Bedingung an, dass Anne-Marie Bauer als Hoteldirektorin eingesetzt wird. Die beiden kannten sich bereits länger und Ciunis wusste: Sie ist ein Vollprofi. „Ohne sie hätte ich das Angebot nie angenommen“, so Ciunis, der darauf hin ganze zwölf Jahre für den gastronomischen Part des East Hotels verantwortlich zeichnete.

Seit Juni 2018 leitet Ciunis nun die gastronomischen Geschicke des neu eröffneten Tortue Hotels. In den altehrwürdigen Stadthöfen bringt das Boutique- Hotel mit 126 Zimmern und Suiten französisches Savoir-vivre nach Hamburg. Und das, ohne sich an den internationalen Tourismus anzubiedern. In der Brasserie wird eine innovative Auswahl deutsch inspirierter französischer Gerichte serviert. Außerdem ist das Restaurant Jin Gui die neue Pflichtadresse für Liebhaber der asiatisch-chinesischen Küche, es besticht nicht zuletzt mit der Innenausstattung, die von der internationalen Stardesignerin Joyce Wang stammt. „Im November und Dezember hatten wir einen Tagesdurchlauf von über 1000 Menschen“, so Ciunis. Und: „Es ist nicht ausgeschlossen, dass einmal weitere Standorte infrage kommen.“
Der Kapitän wirkt also zufrieden und will den Kurs halten. Die See ist ihm wohlgesonnen. Und das mit der Kochausbildung hat sich mittlerweile wohl erledigt.
www.tortue.de

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